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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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sicherzugehen, wir haben noch das Bett, ich behaupte, es ist nicht gemacht.«
    Mit Vater Plantats Hilfe hob er den Betthimmel herunter und legte ihn auf die Erde, gleichzeitig entfernte er die Vorhänge.
    Â»Na?« meinte Monsieur Lecoq. »Hatte ich recht?«
    Â»Stimmt«, sagte Monsieur Domini etwas erstaunt, »das Bett ist nicht gemacht.«
    Â»Nicht gemacht, ja«, sagte der Polizeibeamte, »aber man hat nicht darin geschlafen.«
    Â»Aber das sieht man doch!« warf der Bürgermeister ein. »Ich bin sicher bei dem, was ich behaupte«, entgegnete der Mann der Sûreté. »Man hat das Bett aufgeschlagen, richtig, man hat sich vielleicht sogar darüber hinweggerollt, man hat die Kopfkissen eingedellt, die Bettdecke weggezerrt, die Laken zerwühlt, aber für ein geübtes Auge wird deutlich, daß in diesem Bett nicht zwei Personen geschlafen haben können. Ein Bett unordentlich machen ist schwierig, viel schwieriger vielleicht, als es zu machen. Um es zu machen, muß man nur die Bettdecke zusammenlegen und geradeziehen. Um es nicht zu machen, muß man unweigerlich darin schlafen. Ein Bett ist einer jener schrecklichen Zeugen, die sich nie irren und die nie falsch aussagen können. In diesem Bett hat man nicht geschlafen.«
    Â»Ich weiß natürlich, daß die Comtesse angezogen war, aber der Comte konnte sich zuerst hingelegt haben«, bemerkte Vater Plantat.
    Der Untersuchungsrichter, der Arzt und der Bürgermeister waren zu dem Bett getreten.
    Â»Nein, Monsieur«, entgegnete Monsieur Lecoq, »und ich kann es Ihnen beweisen. Die Demonstration hierfür ist übrigens recht einfach, wenn Sie gestatten.«
    Sanft strich er über die Bettdecke und Bettücher, wobei er sagte:
    Â»Die Kopfkissen sind beide eingedellt, nicht wahr? Aber schauen Sie unter die Kissen, die Unterseite ist völlig intakt, Sie finden hier keinerlei Falte, die gewöhnlich das Gewicht des Kopfes und die Bewegungen des Armes hinterläßt. Das ist jedoch nicht alles: betrachten Sie das Bett von der Mitte bis zum Fußende. Da die Bettdecken sorgfältig eingeschlagen wurden, stoßen die beiden Bettücher fast überall aneinander. Fahren Sie mit Ihrer Hand wie ich darunterweg«, und er ließ seine Hand zwischen Bettdecke und Laken entlanggleiten, »und Sie werden einen Widerstand spüren, den es nicht geben würde, wenn man die Beine über diese Stelle hinausgestreckt hätte. Nun, Monsieur de Trémorel war von einer Größe, die das Bett in ganzer Länge ausfüllte.«
    So klar war Monsieur Lecoqs Demonstration, so überzeugend sein Beweis, daß es keinen Zweifel gab.
    Â»Mir scheint demnach bewiesen«, murmelte der Untersuchungsrichter, »daß Monsieur de Trémorel nicht in diesem Bett geschlafen hat.«
    Â»Außerdem«, fiel Doktor Gendron ein, »wenn man ihn in seinem Bett ermordet hätte, wären doch seine Kleider hier verstreut gewesen. Zumal man ja auch dann Blutspuren auf seinem Laken hätte finden müssen. Jedenfalls sind diese Verbrecher nicht gerade die klügsten.«
    Schon seit einigen Augenblicken suchten Vater Plantats Augen die des Untersuchungsrichters. Als sich ihre Blicke endlich kreuzten, meinte der alte Friedensrichter:
    Â»Was mich vor allem erstaunt«, wobei er durch die Betonung jedem Wort einen besonderen Nachdruck verlieh, »daß es gelungen sein soll, wie anders als im Schlaf, einen jungen und kräftigen Mann wie den Comte Hector getötet zu haben.«
    Â»Zumal noch in einem Haus voller Waffen«, bemerkte Doktor Gendron, »denn das Arbeitszimmer des Comte ist voller Jagdgewehre und Jagdmesser! Ein richtiges Arsenal.«
    Â»Ach ja!« seufzte Monsieur Courtois. »Es hat uns schlimm getroffen. Die Kühnheit der Schurken wächst angesichts der Lüsternheit der unteren Klassen nach Wohlergehen, Reichtum und Luxus. Es vergeht ja keine Woche, wo die Zeitungen nicht...« Er mußte innehalten, nicht ohne Verärgerung; man hörte ihm nicht zu. Man hörte hingegen Vater Plantat zu, der sich wohl noch nie so redselig gezeigt hatte, als er fortfuhr:
    Â»Das Durcheinander in dem Haus mag Ihnen sinnlos erscheinen, nun, ich bin überrascht, daß es nicht noch furchtbarer aussieht. Ich bin schon in den Jahren, ich habe nicht mehr die physische Kraft eines Mannes von fünfunddreißig, und dennoch, wenn die Mörder bei mir eindrängen, hätten sie

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