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Das Verdammte Glueck

Das Verdammte Glueck

Titel: Das Verdammte Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kurz
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heute erinnere ich mich gar nicht», sagte Müller.
    «Der Alltag ist schuld», sagte Vinzenz, «nur der Alltag. Weil sich da immer alles so gleicht.»
    Die dünne Birkeneder von der Buchhaltung machte sich wichtig und meinte, ihr geht es genauso. Die Zeit rennt davon und hinterlässt kaum Spuren.
    «Meint ihr?», sagte Müller. «Das war's schon? Vorbei und rum?»
    «Schau, die schöne Uhr!», rief Paul und drehte die Radiomusik lauter, damit sich keiner mehr unterhalten konnte.
    Ihm war wohl ein bisschen mulmig geworden. Vielleicht würde es rauskommen, dass wir Müllers Zeit hatten. Keine Ahnung, was dann passiert. Die Musik dudelte, ein paar von uns klatschten den Takt. Bald heulte die Sirene und wir mussten wieder los, schaffen wie jeden Tag, ranklotzen. Die Konkurrenz schäft nicht.
    Müller schlich davon und strich mit der flachen Hand die letzten Krümel aus seinem Spind. Viel war nicht mehr drin – jeden Tag hatten wir ihn leer geräumt, und der Trottel hatte es nicht bemerkt. Dachte wohl, die Zeit ist, wie sie ist.
    Als wir ihn abends vor dem Tor stehen sahen, zuckten wir zusammen: alt und grau war er geworden, kein Mädchen würde ihm mehr ein Lächeln schenken. Aber dafür hatte er ja jetzt die Uhr. Wir wollten an ihm vorbei, ohne ihn groß zu beachten, aber Müller rammte Paule seinen Zeigefinger in den Bauch und sagte: «Gebt mir meine Zeit zurück! Ihr habt sie doch genommen. Ich würde mich sonst daran erinnern, aber ich erinnere mich an nichts.»
    «Lass mich in Ruhe!», grunzte Paul ihn an und schlug den Finger weg. «Wir haben deine Zeit nicht, die Firma hat sie oder sonst wer, frag jemand anders!»
    «Hast doch eine schöne Uhr jetzt», sagte ich aufmunternd, «da wär mancher froh drüber.»
    «Ach, die Uhr, die kann ich nicht brauchen! Sie zeigt immer viel später, als ich glaube ...»
    Müller glotzte bescheuert zu Boden, und wir sahen zu, dass wir weiterkamen. Die anderen guckten schon. Wir wollten ja nicht ins Gerede kommen. So eine Firma ist wie ein Organismus, die lebt richtig. Wenn du da ins Gerede kommst, dann ist das wie Schluckauf. Oder Durchfall. Am Ende werfen sie dich raus, nur um den Organismus zu heilen. Damit alles wieder ruhig ist und seinen gewohnten Gang geht. Damit nicht irgendwo Unruhe aufkommt. Oder Sehnsucht.
    Am Wochenende holten wir uns aus der Garage etwas Zeit.
    «Komm, wir genehmigen uns einen Müller-Tag!», sagte Paul.
    Fand ich natürlich gut, denn so ein Wochenende war nach zwei Tagen wieder rum. Das war nicht lang. Ein Tag mehr war ein Tag mehr, immerhin. Wir holten uns also jeder vierundzwanzig Stunden aus der Garage, suchten uns ein verstecktes Plätzchen und zogen sie uns rein. Aber verdammt, ich sage euch, einen so langweiligen Tag habe ich noch nie verbracht! Die Stunden quälten sich dahin, nichts passierte, überhaupt nichts; es war, als wären wir schon gestorben und tot. Paule stöhnte, er hielt diese trübsinnige Langeweile nicht gut aus. Ich machte mir schon Sorgen, der Paule geht mir ein ... an fader, nicht enden wollender Zeit. Doch er ging nicht ein. Nach vierundzwanzig Stunden war’s endlich vorbei. Mann, unser Müller-Tag war vielleicht 'ne Pleite!
    «Und dieses Zeug wolltest du verkaufen?», fragte ich Paul.
    Er nickte nur, aber er verstand, dass man so etwas nicht verkaufen kann. Zeit ist etwas wert, aber graue Tage, in denen nichts passiert, davon haben die meisten selbst genug, dafür geben sie dir nichts. Von diesem Tag an kümmerten wir uns nicht mehr um Müllers Zeit, bis Paul mal erzählte, die Garage sei aufgebrochen und ausgeräumt worden. Nichts mehr drin.
    «Spart uns Arbeit», sagte ich nur.
    Müller stand noch einmal vor dem Werkstor. Zog ein Gesicht zum Fürchten. Hatte es wieder auf Paul und mich abgesehen.
    «Mensch, hau ab!», begrüßten wir ihn. Das war nicht nett, aber wir wollten unsere Ruhe. Kann man doch verstehen, oder?
    «Ihr wart es doch ...», sagte er. «Ich krieg es noch raus.»
    «Klar, Mann, klar», sagten wir nur. Aber wir machten uns keine Sorgen.
    «Bis der was rauskriegt, das dauert», sagte Paul.
    Wir lachten. Wir wussten ja, viel Zeit hatte der Müller nicht mehr.

Welt der Lizenzen
     
    Ich drehe den Fernseher an. Irgendwann denke ich, komisch, keine Männer mehr zu sehen. Nicht in den Nachrichten, nicht in den Talkshows und auch nicht in den Spielfilmen. Da les ich später in der Zeitung, ein Medienmogul hat sich die Rechte gesichert an Männern im Fernsehen. Wer jetzt noch Männer sehen will, muss den

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