Das verdrehte Leben der Amélie

Laflamme, ich finde, du wirst etwas zu oft in mein Büro geschickt.«
    Ich (die es überhaupt nicht leiden kann, wenn man meinen vollständigen Namen sagt, weil das so streng klingt): »Das ist nicht meine Schuld.« (Und in Gedanken: »Und ich habe außerdem auch keinen Bock darauf, zu Ihnen geschickt zu werden, genauso wenig wie darauf, dass Sie demnächst bei uns einziehen!«)
    Kat: »Dieses Mal war es wirklich meine Schuld, ich habe Amélie diese Nachricht ...« (Ich starre Kat durchdringend an, damit sie »Geheimsprache« von meinen Lippen abliest.) »diese Nachricht ... äh ... in Geheimsprache geschickt.« (Ein Hoch auf meine Telepathiekünste, jetzt sind sie ein für alle Mal bewiesen!)
    Monsieur Beaulieu: »Also, meine Damen, ich verstehe ja so ungefähr, was es heißt, jung zu sein. Was ihr euch geschrieben habt, interessiert mich absolut nicht. (Uff!) Ich verlange nur, dass ihr euch etwas mehr auf den Unterricht konzentriert. Ihr seid zwei intelligente Mädchen, aber mir scheint, ihr habt seit letztem Jahr ein paarschlechte Gewohnheiten angenommen. Gibt es etwas, das euch gegen den Strich geht? Etwas, worüber ihr mit mir sprechen wollt? Vielleicht habt ihr ja einen Vorschlag, wie sich der Unterricht besser gestalten ließe, damit ihr wieder mehr Lust zum Lernen bekommt?«
    Kat und ich sehen uns wortlos an. Wir haben keine Ahnung, worauf er hinauswill.
    Kat: »Ähm ... es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn es auch Jungs auf der Schule gäbe ...«
    Ich starre Kat an und kann nicht glauben, dass sie das gerade gesagt hat! Wenn es Jungs auf der Schule gäbe, wäre ich niemals mit einem Mega-Pickel, der auf einer Linie mit meiner Nase liegt und sogar im Profil sichtbar ist, hier aufgekreuzt. Echt mal, was für ein idiotischer Vorschlag!
    Monsieur Beaulieu: »Man ist nicht in der Schule, um zu flirten, sondern um zu lernen!«
    Ich: »Ha! Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Monsieur Beaulieu! Das gilt für Schüler wie für Lehrer und natürlich auch für die Eltern.«
    Monsieur Beaulieu wirft mir einen verblüfften Blick zu.
    Was ich ihm eigentlich gerne gesagt hätte: »Es gibt nichts, was ich an meiner Schule ändern möchte, ich finde sie nämlich perfekt.« Es wäre schön, wenn mein Pickel gleichzeitig als Stummtaste funktionieren würde.
    18:25
    Meine Mutter ist etwas später als sonst von der Arbeit gekommen. Sie musste heute eine Präsentation halten.Sie hat die Schaubilder mitgebracht, die sie bei der Präsentation verwendet hat und mir erklärt, worum es ging. Ich habe nichts verstanden. Irgendwas mit Marketing. Jedenfalls sahen die Bilder auf ihren Postern aus, als wären sie von Kindergartenkindern gemalt worden.
    Meine Mutter ist echt hübsch. Sie hat blonde lockige Haare, die sie meistens hochsteckt, und wenn sie von der Arbeit kommt, hat sie schicke Klamotten an. Heute trägt sie eine beige Hose und einen weißen Rollkragenpullover. Alles an ihr ist klein: sie hat eine kleine Nase, kleine Augen, einen kleinen Mund. Nur ihre Beine sind lang. Das ist übrigens unsere einzige Ähnlichkeit. Früher habe ich manchmal gedacht, ich wäre adoptiert, weil ich ihr überhaupt nicht ähnlich sehe. Ich habe glatte braune Haare und man müsste mich echt gut bezahlen, damit ich schicke Klamotten trage! Es könnte natürlich auch sein (aber das würde mich schon sehr wundern!), dass meine Mutter Dauerwelle und gefärbte Haare hat.
    Während sie mir ihre Präsentation erläutert (die mich nach einem langen Schultag nur mittelmäßig interessiert), schaue ich meine Mutter an und stelle mir vor, wie sie mit Monsieur Beaulieu ausgeht. Ich kann schon verstehen, was er an meiner Mutter findet. Sie ist die schönste Mutter auf dem ganzen Planeten!
    Aber ich kann absolut nicht verstehen, was sie an ihm findet. Er riecht nach Aftershave! Das ist ekelhaft! Aftershave ist zweifellos ein Produkt, das auf den Markt gebracht wurde, noch bevor es richtig ausgereift war. Ich verstehe echt nicht, warum Männer Aftershave benutzen.Es stinkt! Es ist so aufdringlich, dass es vermutlich dazu dient, üblen Körpergeruch oder schlechten Atem zu überdecken und nicht, sich wohlduftendes Parfum auf die Wangen zu tupfen. Weil es keine Zahncreme gibt, die stark genug für Männer ist, wurde das Aftershave erfunden, das all ihre anderen Körpergerüche in Schach hält. Mein Vater hat keins benutzt. Er hat immer gut gerochen.
    Na gut, es gibt keinen Beweis, dass zwischen meiner Mutter und Monsieur Beaulieu etwas läuft, und es bringt nichts,