Das verflixte 4. Schuljahr
ist deshalb diejenige, die Ihrem Kind die besten Chancen bietet, seine besonderen Talente voll zu entfalten und mit Freude und Erfolg zu lernen.
Druck und Stress vor dem Schulwechsel
In der Übertrittsphase, das heißt in der Regel ab der 3. Klasse, beobachten die Grundschullehrerinnen und -lehrer intensiv, welche individuellen Voraussetzungen ein Kind mitbringt. Diese werden mit den Aufnahmebedingungen der weiterführenden Schularten abgeglichen, sodass Empfehlungen für die ideale weiterführende Schule für Ihr Kind gegeben werden können.
Der großen Bedeutung dieser Beobachtungen sind sich auch die Kinder bewusst. Während manche diesbezüglich ein dickes Fell zu haben scheinen und sich trotz dieses erhöhten Stressfaktors relativ normal verhalten, reagieren andere weniger oder mehr offensichtlich darauf. Sie verlieren die Lust an der Schule oder am Lernen, entwickeln übertriebenen Ehrgeiz (»Es kann doch nicht sein, dass der Moritz aufs Gymnasium darf und ich nicht …«) oder zeigen sogar Symptome von Schulangst.
Fangen Sie in der Familie derartige Anzeichen bereits frühzeitig auf, indem Sie Ihren Kindern angemessenen Ehrgeiz vorleben und ihnen signalisieren, dass die Form der weiterführenden Schule für Sie nicht an erster Stelle steht und Ihr Kind kein Mensch zweiter Klasse ist, wenn es nicht aufs Gymnasium geht. Verdeutlichen Sie Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn, dass es ganz allein darauf ankommt, ob Ihr Kind selbst mit seinen Leistungen zufrieden ist.
So ist Jakob beispielsweise froh und sichtlich erleichtert, dass er in der letzten Mathematikarbeit noch eine Vier bekommen hat, obwohl ihm doch so viele Rechen- und Flüchtigkeitsfehler unterlaufen waren. Während Julia zutiefst enttäuscht ist über ihre Zwei, weil ihr doch nur dieser eine dusselige Fehler eine Eins verwehrt hat.
Unterstützen Sie diese zunächst widersprüchlich erscheinenden Auffassungen, indem Sie sich entsprechend mitfreuen (auch bei einer auf den ersten Blick nicht so guten Leistung) bzw. Ihr Kind trösten, wenn es sich auch um eine recht ordentliche Note handelt.
Zu diesem erhöhten psychischen Druck gesellt sich eine veränderte Lehr- und Lernkultur in den Klassenzimmern. Gelehrt wird nicht mehr, was die Kinder interessiert, sondern was zielführend für den möglichen Probeunterricht an der weiterführenden Schule ist.
Das wissen auch die Eltern. Und so arbeiten sie mit ihren Kindern den Unterrichtsstoff vor, damit ihr Kind sich auch gut am Unterricht beteiligen kann. Ein interessanter, vielleicht sogar spannender Unterricht ist auf diese Weise kaum mehr möglich.
Einige Kinder werden zudem in der Klasse von ihren Mitschülerinnen oder Mitschülern gemobbt, weil sie den Übertritt aufs Gymnasium oder die Realschule wahrscheinlich nicht schaffen werden.
Von einer eignungsgerechten Empfehlung kann jedenfalls nicht die Rede sein. So zeigt die Praxis, dass vor allem jene Kinder den Übertritt aufs Gymnasium schaffen, deren Eltern ihnen bei der Vorbereitung helfen. Kinder, deren Eltern nicht ständig bereitstehen, schaffen es dagegen häufig nicht.
Dies wiederum hat Auswirkungen auf das Familienleben. Eltern und Kinder erleben in der Phase des Übertritts regelrecht die Hölle auf Erden. Da wird geübt und gepaukt bis in den Abend hinein; anstatt in die Reitstunde geht es zum Nachhilfelehrer. Eine befriedigende Deutscharbeit führt zu einem Nervenzusammenbruch bei seinem neunjährigen Verfasser. Andere werden vermehrt krank und leiden unter Bauchweh, Übelkeit, Kopfschmerzen, Durchfall – die Liste ist lang und wird immer länger.
Zum ungeheuren Leistungsdruck gesellt sich die Angst, dass das Kind einmal auf der Straße sitzen könnte. Und so wird es gegebenenfalls durch Aufnahmeprüfungen gehetzt – wohl wissend, dass sich ein Misserfolg (der ja nicht ganz unwahrscheinlich ist) negativ auf das Kind auswirken kann. Vom zusätzlichen Druck durch diese Aufnahmeprüfungen, die an bis zu drei aufeinanderfolgenden Tagen stattfinden können, einmal ganz abgesehen.
Ein Programm solcher Aufnahmeprüfungen kann wie folgt aussehen:
✗ Dienstag: Lösen mathematischer Aufgaben, Verfassen eines Aufsatzes
✗ Mittwoch: Lösen mathematischer Aufgaben, Rechtschreiben, Leseverständnis
✗ Donnerstag: aktive Teilnahme am Unterricht in Deutsch und Mathematik
Die Kinder schreiben also am Tag bis zu drei Prüfungsarbeiten, die zudem weichenstellend für ihre schulische Zukunft sind. Zum Vergleich: Im regulären Schulbetrieb (auch an der
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