Das verfluchte Koenigreich
»… eine halbe Stunde, das müsste genügen. Und macht euch was zu essen, wenn ihr Hunger habt. Ihr könnt uns ein paar Schnitten schmieren für später. Es ist Brot und Käse da. Und nehmt was zu trinken mit. Wir haben eine ziemlich lange Fahrt vor uns. Ich hab ein Navigationssystem im Auto – wir werden uns also nicht verfahren.« Er ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »Wow!«, sagte er. »Wenn das kein Abenteuer ist!«
»Danke, dass du uns hilfst«, sagte Tania.
»Glaubst du, ich lass mir so’ne Chance entgehen?«, bemerkte Connor lachend. »So was Cooles hab ich noch nie erlebt.« Grinsend drehte er sich um und lief die Treppe hinunter.
»Dein Freund versteht es gut, seine Angst zu verbergen«, bemerkte Rathina, als er weg war.
Tania nickte. »So war Connor schon immer«, sagte sie. »Man weiß nie, was er wirklich denkt.« Sie runzelte die Stirn. »Hoffentlich kommt er klar.«
»Er ist kein Schwächling«, sagte Rathina. »Er wird es ertragen …«
Sie hörten, wie unten die Haustür ins Schloss fiel.
»Hast du Hunger?«, fragte Tania.
»Ja, in der Tat.«
»Dann komm mit. Mal sehen, was der Kühlschrank so hergibt. Du musst wahrscheinlich die meiste Arbeit machen, weil in der Küche alles aus Metall ist. Magst du Pizza?«
»Ist das schmackhaft?«
»Oh, ja. Jedenfalls, wenn keine Sardellen drauf sind. Die sind eklig.«
»Nun gut, Schwester, lass uns speisen. Ich hoffe, dass es klug von dir war, diesem Mann zu vertrauen – das Wohl des ganzen Elfenreichs hängt davon ab.«
Die beiden Schwestern saßen an dem wackligen Küchentisch, aßen Peperonipizza und tranken Milch.
»Ich bin verwirrt, Schwester«, sagte Rathina. »Ich weiß von der Liebe, die du für Master Clive und Mistress Mary empfindest, und wie sehr es dich schmerzt, fern von ihnen zu sein. Aber ich kann nicht verstehen, was dich an diese Welt fesselt. Du sprichst stets in so wehmütigem Ton von deinem früheren Leben, als habe die Welt der Sterblichen große Anziehungskraft auf dich. Und doch hast du mir bislang nur wenig gezeigt, was mir gefiel – außer vielleicht das Lachen der Kinder und der Vogelgesang in den Bäumen. Ist dir das genug?«
Tania runzelte die Stirn. »Für mich war das lange Zeit mein Zuhause«, sagte sie. »London ist zwar laut, überfüllt und schmutzig, aber das stört mich alles nicht besonders. Ich bin hier aufgewachsen und an Menschenmassen gewöhnt. Ich mag die Stadt und hatte immer richtig viel Spaß hier. Ich war mit Jade und meinen Freundinnen shoppen oder in unserer Lieblingspizzeria.« Sie schluckte, weil ihr bewusst wurde, dass das alles für immer vorbei sein würde, wenn sich die Portale zwischen den Welten schlossen. »Und ich mag laute Musik – Jade und ich waren dauernd auf Konzerten und haben abgetanzt wie die Irren. Das war super! Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll.«
Rathina kaute nachdenklich ein Stück Pizza. »Es ist wahrhaft schwer zu verstehen, Schwester. Wenn du dich an solchen Dingen ergötzt – wie kannst du dann das Elfenreich mögen?«
»Wow, jetzt wirst du aber philosophisch.«
»Ich will dich nicht verwirren, Tania, aber ich verstehe nicht, wie man zugleich die Welt der Sterblichen und das Elfenreich lieben kann.«
»Na ja, ich bin eben kompliziert«, sagte Tania grinsend, um das Ganze mit einem Scherz beiseitezufegen.
Rathina schaute sie abwartend an, ohne etwas zu sagen.
»Ich kann dir keine Antwort darauf geben«, seufzte Tania schließlich. »Wenn du mich vor sechs Monaten gefragt hättest, ob ich ohne Handy, Computer und MP 3-Player leben könnte, hätte ich wahrscheinlich Nein gesagt – nie im Leben. Aber wenn ich im Elfenreich bin, ist das alles nicht mehr wichtig. Und vielleicht …«
Rathina unterbrach ihre Schwester mitten im Satz, ihre Stimme klang panisch. »Schwester, hüte dich!«, zischte sie. »Es ist nahe.«
»Was? Oh!« Tania schauderte. »Dieses Ding aus dem Elfenreich, das uns verfolgt?«
»Ja, Schwester – und es hat uns gefunden.« Rathina berührte ihre Stirn. »Ich spüre es hier. Es brennt wie kaltes Feuer und ich habe einen bitteren Geschmack im Mund.« Sie ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück, um auf die Straße hinunterzuspähen.
Tania stand hastig auf und trat neben Rathina. Ihr war sehr beklommen zumute. Draußen war es stockdunkel, nur einige Straßenlampen verbreiteten einen schwachen Lichtschein.
Tania dachte schaudernd an die Grauen Ritter von Lyonesse, die untoten Kreaturen, die sie gejagt und
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