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Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Naenn war ihm so nahe, daß sie ganz unscharf und durchscheinend aussah. Statt dessen traten andere Erinnerungen deutlich hervor. Baladesar und Kiara, wie sie gewesen waren, als der Wettkampf um Kiara noch nicht vollständig entschieden gewesen war. Baladesar, leicht dicklich und mit Augengläsern, wie er zuletzt ausgesehen hatte, bei ihrem ersten Treffen seit vielen Jahren, in Aldava. Kiara, wie sie zuletzt ausgesehen hatte, mütterlich und reif. Die beiden Töchter. Dann Benter Smoi seltsamerweise, der angenehme Händler, der Rodraeg den Kopf von Oobo verkauft hatte. Über die dunkle, fremdländische Würde des hölzernen Kopfes kam Rodraeg auf Timbare, den Gast der Gründungssitzung, der prophezeit hatte, daß es das Mammut nach nur einem Jahr schon nicht mehr geben würde. Über Timbare zu dem zwergwüchsigen Magier, der in Wandry zu gleißendem Licht geworden war. Über das Licht zu Eljazokad. Über Eljazokad zu Zarvuer, dem Rodraeg nie begegnet war und der nun das Gesicht eines alten Mannes annahm, das Rodraeg an das Gesicht seines Vaters erinnerte, Esair Delbane. Über Zarvuer und seinen Vater zu Riban Leribin, den großen Seher und Verheimlicher. Und dann, eher unerwartet, zum Gesicht von jemandem, dessen Namen Rodraeg schon längst wieder vergessen hatte, obwohl er ihn zwei- oder dreimal gehört hatte. Ein blonder, tumb aussehender Bursche. Auf dem großen Ritterturnier von Endailon war Rodraeg ihm zweimal gegenübergestanden. Beim Ringkampf hatte er ihn noch überwältigen können, weil Rodraeg in der Schule die Techniken der Sonnenfelder gelernt hatte und die überlegene Kraft des Blonden durch Erfahrung hatte aushebeln können. Doch dann, beim Faustkampf, hatte der Blonde Rodraeg dermaßen hart die Faust ins Gesicht gedroschen, daß Rodraeg erst zwei Stunden später wieder aufwachte, um zu erfahren, daß das Turnier längst ohne ihn weitergegangen war. Ähnlich wie bei Ryot Melron, der ebenfalls eine Lücke in Rodraegs Leben gerissen hatte und in dieser Lücke sogar ein magisches Kind mit einer Jungfrau zeugte.
    Aus Hessely hatte der Blonde gestammt, und er war dumm und ungebildet gewesen, mit nichts als Wut in seinen Fäusten. Vielleicht war Rodraeg deshalb nach dem Turnier in die Provinz Hessely gereist, um anderen blonden Kindern ein Lehrer zu sein. Eine Art Abbitte für den verlorenen Kampf, oder eine Art Rache, weil Rodraeg so anderen blonden, ungebildeten Kindern hatte zeigen können, wie wenig von der Welt sie wußten. Dann die Jahre bei dem ausgesprochen unsympathischen Schulzen von Kuellen. Auch dies eine heimliche Rache, das Vergelten von Eigennutz mit Tüchtigkeit, um die Fundamente dieses Mannes in den Augen seiner Bürger langsam zu unterspülen? Die Kuellener waren ausgesprochen nett zu ihm gewesen, besonders die älteren Damen, aber er hatte dort nie ein Häuschen bezogen. Eine Art Rache, weil sie keine Hauptstadtgebildeten waren wie er? Das Mitgehen mit Naenn eine Art Rache an Kuellen und Aldava zugleich, die ihm beide nie die Möglichkeit geboten hatten, sich über alle anderen zu erheben? Rodraegs anerzogene Höflichkeit und Freundlichkeit nur die Fassade eines Menschen, der tief in seinem Inneren Groll hegte gegen vieles, gegen Baladesar und Kiara vielleicht, gegen seine Eltern womöglich, die mit ihrem engstirnigen Geschäft wie Felsklötze an ihm hingen, gegen den Blonden aus Hessely mit seiner dümmlichen Geradlinigkeit wahrscheinlich und gegen sich selbst mit Sicherheit? Die zum Tode führende Krankheit, das schwarze Wüten in seinem Atmen, nur eine lange überfällige Eruption dieses sechsunddreißig Jahre lang herumgetragenen, unehrlichen Grolles?
    Es wurde Zeit, sich von diesem abgenutzten Körper zu verabschieden.
    In den Sonnenfeldern glaubte man, daß die Toten in das Land des Geisterfürsten kamen, um dort bestraft zu werden für jede unlautere Tat und jeden durch Eigennutz getrübten Gedanken. Rodraeg würde schon bald herausfinden können, ob dieser Glaube der Wahrheit entsprach.
    Â»Glaubetrech«, sagte er leise. »So hieß der Blonde aus Hessely. Irds Glaubetrech.«
    Neben ihm saßen Hellas und Eljazokad und starrten erschöpft auf das tosende Wasser.
    Rodraeg blinzelte und ließ dadurch wieder Zeit verstreichen, Lücken entstehen. »Wie lange haben wir jetzt auf Bestar gewartet?« fragte er.
    Â»Ein paar Stunden«,

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