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Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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das? Jetzt sitzen wir auf der Mittelinsel fest, vom wahnsinnigen Wasser umzingelt.«
    Â»Egal. Wir wären beinahe ertrunken. Daß wir jetzt hier sitzen und schimpfen können, ist auf jeden Fall eine Verbesserung, findest du nicht auch?«
    Â»Das stimmt.«
    Sie kümmerten sich um Rodraeg. Ihr Anführer war inzwischen häufiger bewußtlos als bei Sinnen. Es war eine absurde Idee gewesen, ihn überhaupt auf diese Mission mitzunehmen.
    Â»Er ist völlig ausgekühlt«, stellte Hellas fest. »Kannst du die Kerzenlichter größer machen, so daß wir eine Art Lagerfeuer hinbekommen?«
    Â»Ich kann sie heller machen, aber mit Wärme hat das leider nichts zu tun.«
    Â»Ich dachte, du bist ein Lichtmagier.«
    Â»Ja, aber kein Feuermagier.«
    Hellas knurrte etwas. Ihre gesamte Kleidung war klatschnaß, sie hatten nichts Trockenes, in das sie Rodraeg hätten hüllen können. »Wenn wir gewußt hätten, daß wir auf der Mittelinsel landen, hätten wir unsere Kleidung bündeln und auf die Insel werfen können. Es ist zum Kotzen, wie man hier in die Irre geführt wird.«
    Â»Ich bin mir noch nicht sicher, ob wir hier richtig sind. Die Stimme sagte: Fügt euch den Kräften, um aus ihnen hervorzugehen. Wir haben uns aber nicht gefügt, sondern haben die Richtung mitbestimmt. Andererseits: Wozu sonst dienen diese Stufen auf der Insel?«
    Â»Vielleicht wären unsere Leichname nach zehn Umdrehungen auf jeden Fall hier hinaufgespült worden. Was hat die Stimme eigentlich noch gesagt? Was kommt jetzt noch?«
    Â»Geht weiter und begegnet euch selbst. Als letztes begegnet dem Zepter.«
    Â»Dann haben wir es ja bald geschafft. Die Begegnung mit uns selbst wird natürlich die Hölle, aber danach haben wir den willkürlichen Mist hinter uns. Komm, laß uns einen Ausgang suchen.«
    Tatsächlich fanden sie einen. In der Mitte der Insel war eine rechteckige Fuge im Boden, und als Hellas an allen die Fuge umgebenden Reliefornamenten herumtastete, öffnete sich das Rechteck zu einer abwärts führenden Stiege.
    Eljazokad staunte. »Wir sind richtig. Seltsam eigentlich.«
    Â»Ich wundere mich über gar nichts mehr.« Der Bogenschütze humpelte zu Rodraeg zurück. Da keiner von ihnen kräftig genug war, sich Rodraeg auf die Schulter zu laden, mußten sie abwarten, bis dieser wieder zu Bewußtsein kam. Sie hielten ihm das Salzfäßchen unter die Nase, massierten und tätschelten ihn. Dennoch dauerte es zwei Stunden, bis Rodraeg wieder die Augen aufschlug.
    Es sah aus, als wäre es das letzte Mal. Von Raum zu Raum in dieser Höhle war Rodraeg eingefallener, älter und schwächer geworden. Seine Augen hatten bereits jenen eigentümlichen Glanz, den man bei Sterbenden beobachten kann. Sein Gesichtsausdruck sagte »Wer seid ihr?«, und er fragte: »Wo sind wir?«
    Sie erklärten es ihm.
    Â»Wo ist Bestar?« begehrte er zu wissen, und als sie ihm auch dies zu erklären versuchten, gab er sich nicht zufrieden. »Wir … müssen … auf ihn warten. Wir … können nicht einfach ohne ihn weiter. Wenn er … jetzt nachkommt, können wir ihn zu dritt am Seil über den Fluß ziehen.« Auf allen vieren kroch Rodraeg zu der Stelle, die dem in diese Kuppel führenden Eingang gegenüberlag. Dort setzte er sich hin und spähte ins Dunkel, den Klippenwälder erwartend.
    Â»Warum holen wir nicht erst das Zepter und anschließend Bestar?« versuchte Hellas Rodraeg zum Weitergehen zu bewegen, doch der hörte gar nicht richtig zu. Der Lärm des Wassers übertönte vieles.
    In Rodraegs Kopf war alles leicht und sonderbar. Wenn er die Augen schloß, kaum blinzelte, und sie wieder öffnete, waren inzwischen Sandstriche oder sogar Sechstelstunden vergangen. Seine Lunge schmerzte beim Ein- und Ausatmen, aber er hatte auch Schmerzen im Kopf, wie bei einer Erkältung. Kalt war ihm nicht, obwohl er in einem nassen Büßergewand auf einem Stein am Rande eines eisigen Stromes saß und es keine Sonne gab, weil sich nicht nur Wolken, sondern ein ganzer Berg zwischen sie und ihn geschoben hatte.
    Wie immer seit Beginn dieses Jahres versuchte er, sich selbst und die vielen Schatten, die ihn umgaben, dadurch zu ordnen, daß er an das Schmetterlingsmädchen dachte, deren Name so ähnlich klang wie ein »Nein«.
    Diesmal jedoch wollte es ihm nicht gelingen.

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