Das Verhaengnis Thriller
Spiegelbild im Rückspiegel des Wagens. »Bist du ganz sicher, dass du weißt, was du tust?« Sie ließ den Wagen an, setzte rückwärts aus der engen Lücke und sah sich nach Dave oder seinem Wagen um. Keine Spur.
Das hatte allerdings nichts zu bedeuten, dachte sie und bog auf die Straße. Dave würde sich erst zeigen, wenn er es wollte. Wenn Dave ihr folgte, würde sie ihn im Gegensatz zu Tom erst entdecken, wenn es zu spät war.
Sie sah auf die Uhr. Kurz vor zwei. Was hatte Dave vor, dass er nicht vor sieben nach Hause kommen würde? Plante er eine Überraschung? Etwas, um die Brutalität seiner jüngsten Angriffe wiedergutzumachen, etwas, um ihr seine Liebe zu versichern? Kurz nach ihrer Hochzeit, als sie noch so naiv gewesen war zu glauben, dass seine Entschuldigungen ernst gemeint waren, als er sich noch Mühe gegeben hatte, das Vergnügen zu verbergen, das es ihm bereitete, sie zu quälen, hatte er manchmal kleine Geschenke mitgebracht – ein antikes Schmuckstück, das sie in einem Schaufenster bewundert hatte, ein Schokoladenosterei gefüllt mit Vanille oder der klebrigen Zitronencreme, die sie so mochte, oder den neuesten Roman von Nora Roberts. »Es tut mir leid«, sagte er dann und versprach, dass es nie wieder vorkommen würde. »Du weißt, dass ich dir nicht wehtun wollte.«
Inzwischen sagte er nicht mehr, dass es ihm leidtat. Stattdessen war sie diejenige, die sich ständig entschuldigte. Wie war das geschehen? Wann war das geschehen? Wann hatte sie angefangen, die Schuld für das, was er ihr antat, auf sich zu nehmen? Seit wann fühlte sie sich für seinen Jähzorn verantwortlich?
Wie hatte sie das zulassen können? Sie, die auf alles eine Antwort wusste, die sie ihre Mutter verachtet und beschimpft hatte, weil sie allzu ähnliche Misshandlungen erduldet hatte; die sie geschworen hatte, dass ihr das nie passieren würde; die sie sich für so intelligent, tough und selbstbestimmt gehalten hatte, während sie in Wahrheit nichts als eine blasse Kopie ihrer Mutter war, wie man an den schwarz-blauen Spuren in ihrem Gesicht deutlich erkennen konnte.
Sie hatte irgendwo gelesen, dass Menschen sich an Muster hielten, die ihnen vertraut waren, egal wie abscheulich und schlecht sie auch sein mochten. Und oft kopierten sie diese Muster zu ihrem eigenen Schaden, weil sie sich unbewusst wohl darin fühlten. So wussten sie zumindest, was sie zu erwarten hatten.
Von wegen, dachte sie. Sie wissen gar nichts.
Hatte ihr Unterbewusstsein die ganze Zeit gewusst, was für ein Mann Dave Bigelow war? Hatte sie ihn in dem Wissen geheiratet, wer er war, was er war? Hatte sie es nur geleugnet und so getan, als könne sie ihn ändern, wenn sie nur gut genug, sanft genug, umsichtig genug, Frau genug, anders genug als ihre Mutter war? Als könne sie die traurige Geschichte ihrer Mutter umschreiben, damit sie ein Happy End bekam? Hatte sie sich das vorgemacht? Und entschuldigte sie sich nun deswegen ständig?
Nur dass sie sich jetzt lange genug entschuldigt hatte.
Die Ampel an der nächsten Ecke sprang auf Gelb, und sie drückte aufs Gaspedal, rauschte über die Kreuzung und wäre um ein Haar mit einem links abbiegenden Wagen zusammengestoßen. Mit angehaltenem Atem wich sie nach links aus und nahm den Fuß vom Gas.
Ich kann ihr in den Fuß schießen, wenn du willst , hörte sie Tom sagen.
Oder du könntest stattdessen meinen Mann erschießen , hatte ihre spontane Antwort gelautet.
Hatte sie das wirklich gesagt?
Hatte sie es so gemeint?
Und konnte sie das wirklich durchziehen?
»Was ist los mit mir?«, fragte sie sich laut, als sie merkte, dass sie seit zehn Minuten fuhr, ohne zu wissen, wohin. Oder eigentlich eher die letzten zehn Jahre ihres Lebens, dachte sie und hielt sich Richtung Biscayne Bay.
Bald erreichte sie den Teil der Innenstadt von Miami, der unter dem Namen Brickell bekannt war. Das Nobelviertel, erbaut in den 80ern und angeblich finanziert mit Geld aus dem Kokainhandel, war berühmt für seine futuristischen Gebäude, die das benachbarte South Beach regelrecht bieder erscheinen ließen. Hier pulsierte das Leben zu einem deutlich spürbaren lateinamerikanischen Rhythmus und lud ein zum Genuss all dessen, was anderswo vielleicht als exzessiv gegolten hätte. In Brickell war Extravaganz die Norm.
Alles war überdimensioniert, von Restaurants wie Bongos Cuban Cafe, das problemlos 2500 Gäste bewirten konnte und dessen Barhocker die Form von riesigen Bongotrommeln hatten, bis zum Duo, einem
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