Das verhängnisvolle Experiment
legte, hatte er einen Augenblick lang das Gefühl, Mankov müßte nun in der Öffnung auftauchen. Das hätte der Situation zweifellos den Rest des Unwirklichen genommen, aber Mankov war mit seiner Gruppe wohl längst wieder zu den Fremden zurückgekehrt.
Er spürte eine ungewisse Hemmung, als er sich anschickte, über die Schleusenklappe in das Fahrzeug zu steigen, und erst, als ihn Maara aus dem Inneren anrief, löste er sich aus seiner Starre.
Die Spinne bewegte sich fast lautlos und mit tierhafter Sicherheit. Der Wald vor den Sichtscheiben der Kabine glitt dahin wie ein Film, bei dessen Aufnahme die Kamera auf Schienen gelaufen war, fast ohne Höhenschwankungen und mit gleichbleibender Geschwindigkeit selbst dann, wenn das Fahrzeug die Richtung änderte, um von einer Schneise in die andere zu wechseln.
Der Nebel hatte sich gänzlich verzogen, rechts über den Bäumen standen die beiden Sonnen, die große gelbe ein wenig höher als die kleinere weiße, ihre Strahlen erhellten das Innere der Kabine wie das abgehackte Blitzen einer Lichtorgel. Maara hatte das Visier ihres Helms über die Stirn nach oben geklappt, die Reflexe flatterten über ihr Gesicht und zauberten eine undeutbare Mimik auf ihre Züge. Sie hatte die Augen halb geschlossen, und er wußte nicht, ob sie die vorüberhuschende Landschaft überhaupt bewußt wahrnahm oder nicht.
»Maara!«
Wie schon vorher benötigte sie geraume Zeit, um aus ihren Gedanken in die Wirklichkeit zurückzukehren. Und auch diesmal klang ihre Stimme seltsam tonlos: »Was ist, Brian?«
»Meine ganze Hoffnung konzentriert sich jetzt auf Yahiro, Maara. Haben wir uns nicht immer auf ihn verlassen können? Vielleicht hält er durch. Seine Ausbildung…«
Er unterbrach sich, als er bemerkte, daß er dabei war, »denen dort drüben« bestimmte Vorteile zu konzedieren, ein Zugeständnis, das er bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in Erwägung gezogen hätte. Etwas war in den letzten Tagen mit ihm und in ihm geschehen, das ihn zwang, gegen seine in Jahrzehnten gewachsene Überzeugung auf Yahiro zu setzen, auf die ihm anerzogenen Eigenschaften, auf Disziplin, Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit und…, und Menschlichkeit. Ja, auch und vor allem auf die Menschlichkeit des Multihom Vamos Yahiro. Brian Haston schüttelte über sich selbst den Kopf. Wohin war es mit ihm gekommen?
Maara schwieg lange. Dann sah sie ihn an. »Du solltest dich damit abfinden, Brian, daß es diese Chance nicht mehr gibt. Diese nicht!« Danach blickte sie wieder aus dem Fenster, und abermals zitterten die Lichtreflexe über ihr Gesicht.
Ihn störte die Sicherheit, mit der sie das gesagt hatte, das Unvermeidliche, Abschließende. »Aber er schien doch noch immer völlig normal zu reagieren«, wehrte er sich, nun schon ohne Hoffnung.
Wieder blickte sie ihn lange an. »Was ist normal, Brian? Das, was sie taten, als sie noch Menschen…, normale Menschen wie du und ich…« Sie unterbrach sich und hob abermals die Schultern. »Du weißt, wie ich das meine. Ich frage mich, was in ihrer Situation normal ist. Wenn sie sich so verhalten, wie sie es früher getan haben, oder wenn sie ihre Reaktionen auf ihren neuen Körper abstimmen? Ich glaube, daß sie sich im Grunde nicht verändert haben, Brian. Solange sie sich als Menschen fühlen, sind sie geblieben, wie sie vorher waren, brutal oder gefühlvoll, bescheiden oder gewinnsüchtig, egozentrisch oder mit Sinn für die Gemeinschaft. Erst wenn sie gefühlsmäßig begriffen haben, daß sie andere sind als wir, treten veränderte Reaktionen auf. Anscheinend zumeist Abwehrreaktionen und Aggressionen. Und, Brian, ich kann sie verstehen.«
Eine solch schonungslose Einschätzung hatte sich noch niemand erlaubt. Alles in ihm wehrte sich dagegen, sie zu akzeptieren. Aber da waren die Tatsachen, Moreaux und Blossom, und da war Lannert, der dort draußen durch die Wälder streifte und sich wie ein Amokläufer gebärdete. Aber da war eben auch Yahiro.
Er unternahm einen letzten Versuch. »In bezug auf Lannert, Moreaux und Blossom magst du recht haben, Maara. Aber Yahiro ist anders als sie. Er war immer so… so…«
Sie wandte sich ihm zu, schnell, erregt. Und ihre Augen waren plötzlich hellwach. »Normal! Wolltest du wieder sagen: ›normal‹, Brian? Dann muß ich dich abermals fragen, was du als normal empfindest? Wenn man die Menschen für einen Haufen Selbstmörder hält? Wenn man die Meinung vertritt, die Natur bringe intelligentes Leben nur hervor, um es wieder
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