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Das verhängnisvolle Experiment

Das verhängnisvolle Experiment

Titel: Das verhängnisvolle Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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standen, folgten ihre Blicke seinem ausgestreckten Arm. Da sahen auch sie es sofort. Über die Dächer ragten rechtwinklig abgebogene Rohrstücke, deren obere Enden gleich dicken Fingern herüber zum Standort der Gruppe wiesen. Bosk, der die Funktion dieser Gebilde wohl ebenfalls sofort durchschaut hatte, trat einen großen Schritt zur Seite, und zwei oder drei der Rohre drehten sich ein wenig. In ihren Öffnungen blitzte Licht auf, als träfen die Strahlen der mittlerweile tiefstehenden Sonnen auf die Objektive von Periskopen. Entweder waren diese Apparate erst vor kurzer Zeit aufgetaucht, oder sie waren der Aufmerksamkeit bisher entgangen, weil man den Spiegeleffekt noch nicht hatte bemerken können. »Ich werde mir das ansehen«, erklärte Lannert.
    Niemand ging auf seine Bemerkung ein. Aber Toria hatte das Gefühl, daß nicht einer dem Vorhaben Lannerts uneingeschränkt zugestimmt hätte, wäre er befragt worden. Andererseits mußten sie auf irgendeine Art weiterkommen. Und eine Aktion mit wenig Aussicht auf Erfolg war immerhin noch besser als untätiges Abwarten. So beließ sie es bei dem vagen Hinweis, Lannert möge sich nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen.
    Er blickte sich über die Schulter um und musterte sie schweigend. Sein dunkelgraues Gesicht zeigte keine Regung. Nur die Linsen seiner Augen hatten sich ein wenig aufgehellt. Diesmal ging er aufgerichtet und hielt die Arme angewinkelt wie die Scheren eines überdimensionalen Krebses. Als er sich in Höhe der bunten Stangen befand, setzte sich auch Yahiro in Bewegung und folgte ihm.
    Sie erreichten das erste der Gebäude fast gleichzeitig. Lannert hob sich auf die Spitzen seiner ungefügen Füße, streckte beide Arme aus und klammerte sich an die Kante des Daches. Dann zog er sich mit einer einzigen gleitenden Bewegung hinauf. Yahiro hob zögernd eine Hand, aber es war nicht zu erkennen, ob er Lannert helfen oder ihn hindern wollte.
     

    Nachdem Lannert sich auf dem Dach umgeschaut hatte, schlich er gebückt auf das nächste Periskop zu. Es war erstaunlich, daß das Dach unter seiner Masse nicht zusammenbrach. Er bewegte sich auf Händen und Füßen, wie stets ein wenig seitwärts gehend und mit hoppelnden Schritten. Er ging nicht direkt auf das Rohr zu, er schlug einen Bogen, der schließlich zu einer Spirale wurde. Sooft er das seltsame Periskop aber auch umkreiste, das Auge blieb immer auf ihn gerichtet. Er handelte wie der Eulenfänger im Märchen, der sein Opfer veranlaßte, sich selbst den Kopf abzudrehen, indem er dessen Standort mehrmals umschritt.
    Diese Eule aber erwies sich als stärker oder klüger als der Jäger. Das Auge blieb stets auf ihn gerichtet, starr und doch aufmerksam, sooft er es auch umkreiste. Hin und wieder funkelte es auf, wenn die Sonnen Lichtreflexe über das Objektiv springen ließen.
    Schließlich griff Lannert zu. Er warf sich förmlich auf das Rohr, als wollte er es im ersten Anlauf an der Basis abknicken. Aber das Rohr hielt wider Erwarten stand. Ein Gebilde, fast meterhoch und mit einem Durchmesser, der nicht größer zu sein schien als der von Torias Handgelenken, widerstand der elementaren Wucht dieses mit aller Gewalt geführten Angriffes des Hastoniden. Man sah Lannert die Verblüffung an. Er stand an das Rohr geklammert und verharrte unbeweglich.
    Wenig später begannen seine Schultern zu vibrieren. Er hatte das Periskop kurz unterhalb der Linse mit beiden Zangen gepackt und versuchte es zu verdrehen oder herauszureißen. Seine Muskeln sprengten fast die Haut, der Krafteinsatz mußte ungeheuer sein, aber das Rohr hielt stand.
    Der lautlose Kampf währte nicht lange. Lannerts Zangen öffneten sich plötzlich krampfhaft, und gleich darauf taumelte der Riese mehrere Schritte zurück. Er näherte sich dabei bedrohlich der Dachkante, was Yahiro veranlaßte, die Arme auszubreiten. Aber noch fiel Lannert nicht.
    Das Rohr hatte sich mit einem rötlichen Leuchten überzogen. Es sah aus, als beginne es von unten her zu glühen. Gleichzeitig umgab es sich mit Schlieren, die in der bewegungslosen Luft ein blauglimmendes Zittern auslösten.
    Der nächste, mit ohnmächtiger Wut geführte Angriff warf Lannert über die Dachkante. Yahiro, der seine stürzende Masse aufzufangen suchte, brach in die Knie.
    Erst jetzt wurde sich Toria bewußt, daß sie Lannert hätte hindern müssen – sie oder Peter Mankov oder ein anderer. Niemand hatte jedoch auch nur ein Wort gesagt, niemand hatte sich gegen Lannert gestellt.

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