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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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immer in Schweigen.
    Als N’Gama auf das Floß kletterte, war Krochs Kopf auf die blutverschmierten Planken zurückgesunken. Bran konnte seinen Atem nicht mehr hören. Aber N’Gama schob seinen verkrüppelten Körper zum König und beugte sich über ihn. Und Kroch legte seine große Hand auf N’Gamas Schulter und flüsterte ihm die letzten Worte an sein Volk ins Ohr.
    Der Verkrüppelte wiederholte sie für die Krieger, während der König sprach, und wandte sich schließlich an Bran, damit auch er und sein Volk die letzten Worte des Königs hörten.
    »Ich bin Kroch.« Der Verkrüppelte fuhr sich über die Augen, als erinnerte er sich an Zeiten, als er noch weinen konnte. »Der Stärkste. Ich bin der Haitöter.«
    Die Krieger stützten den Sterbenden unter den Armen und hielten ihn zwischen sich.
    »Ich werde im Kampf gegen Die Mächtigen sterben, meine Knochen sollen von den Strömungen verteilt werden, mein Blut soll sich mit dem Meer vereinen und meine Träume sollen in das Land getragen werden, in dem die Sonne versinkt.«
    Kroch hob den Kopf und schaute zu den Mauern des Atolls. Dann wandte er das Gesicht zum Himmel und warf dem Mond einen letzten Blick zu. Als er sein Bein zum Rand des Floßes schob, hoben die Krieger ihn hoch und senkten den blutüberströmten Körper ins Wasser.
    Die Turmwächter bliesen die Konchylien. Kroch faltete die Arme über der Brust und schloss die Augen. Und dann umfing das Meer seinen Körper und zog ihn in die Tiefe.

Das Nordmeer
     
    N iemand wusste, warum Die Mächtigen in dieser Nacht angegriffen hatten. Blutdurst, Hunger oder die Jagd nach Ehre – den Willen Der Mächtigen kannte niemand. Doch N’Gama hatte Krochs Todeskampf bereits vor vielen Jahren in einem Traumbild vorhergesehen. Und so war es immer in Kin-Mar: der König opferte sich in einem Zweikampf gegen den König Der Mächtigen.
    Am Morgen nach Krochs Tod trieben graue Wolken von Osten heran. Die Kinlender wandten ihre schuppigen Gesichter zum Himmel. Der Regen zeichnete Ringe auf das Wasser und rann wie Tränen von ihren gelben Augen.
    Queya wurde zum neuen Herrscher über Kin-Mar ernannt. Ihm wurde der Umhang aus der Haihaut über die Schultern gelegt. Dann nahm er Krochs Platz auf dem Thron aus Fischknochen ein und Kammmuscheln und Schwertfische wurden vor ihm aufgetischt. Und während die Kinlender mit Segeltüchern und Tonnen das Regenwasser auffingen, aß Queya einsam für sich.
     
    Sechs Tage lang trommelte der Regen auf die Wracks. Das Felsenvolk blieb während dieser Zeit unter Deck. Sie schnitten den Trockentorf in dünne Streifen und wärmten den Körnerbrei über den Flammen. Die Männer schliefen wie satte Hunde unter den Fellen. Sogar die Kinder verhielten sich ruhig.
    Der Regen ist gut, dachte Bran, während er bei den Wassertonnen an der Reling stand. Tir brauchte Ruhe. Sie alle brauchten das, denn sobald sich das Wetter besserte, wollte er mit nördlichem Kurs weitersegeln. Das erschien ihm jetzt richtig zu sein. Seine Träume hatten ihm dieses Tal dort oben gezeigt, und überdies fühlte er einzig Leere, wenn er nach Westen oder Süden schaute. Dort draußen befand sich wirklich das Ende der Welt.
    Er formte mit den Handflächen eine Schale und tauchte sie in die Tonne. Regenwasser rann über den Tonnenrand bis auf das Deck. Dann führte er seine Hände an den Mund und ließ das kalte Wasser über seine Zunge rinnen. Bald würden sie das Land im Norden erreichen. Sie würden durch die Berge wandern, und wenn sie das Tal fanden, würden sie in Geborgenheit zur Ruhe kommen.
    Es knirschte auf dem Landgang. Bran drehte sich um und wischte sich die Hände an seinem Pelz ab. Nangors blonder Bart ragte unter der Kapuze hervor, als der Seeräuber an Deck sprang.
    »Na, du stehst hier draußen im Regen?« Nangor schob sich die Kapuze in den Nacken und schnäuzte sich in die Finger. »Bei Manannans tangbewachsenem Bart, was für Gewitterwolken«, sagte er mit Blick auf den schwarzen Himmel. Bran schloss den Umhang und sah zum Himmel auf. Nangor hatte Recht. Bald würden die Namenlosen ihre Blitze auf das Meer herniederzucken lassen. Doch die Blitze würden die Wolken zerschneiden und nach dem Unwetter würde der Regen davonziehen.
    »Ich habe gehört, du willst von hier aus nach Norden segeln?«
    Nangor trat an den gebrochenen Mast. »Das ist so gut wie jede andere Richtung.«
    »Ich habe geträumt«, sagte Bran. »Die Träume kamen zu mir, als wir nördlich von Krett an der Küste lagerten, und

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