Das Verheissene Land
seither habe ich immer wieder dieses Tal auf der anderen Seite des Sturmrands gesehen. Die Götter, Cernunnos…«
»Der, der Hörner trägt, ist also jetzt dein Gott?« Nangor riss einen Splitter ab, trat zur Reling und schnippte ihn ins Wasser. »Ich dachte, dieser Himmelsvogel hätte dir die Träume gegeben. Das behauptet jedenfalls der Einbeinige.«
Bran zog sich die Kapuze über den Kopf. »Cernunnos hat sich mir im Schneesturm gezeigt. Er spricht durch meine Träume zu mir. Doch wenn Turvi und die anderen meinen, es sei Kragg, will ich ihnen nicht widersprechen. Sie können glauben, was sie wollen.«
Nangor gab darauf keine Antwort, sondern deutete auf den Splitter, der vom Langschiff forttrieb. »Die Strömungen sind kräftig hier. Westlich und stark. Sie werden von steuerbord kommen. Die Reise wird von hier aus nicht ganz so leicht sein.«
Bran schüttelte seinen Pelz ab und schlenderte in Richtung Luke.
»Warte!« Nangor stampfte in seinen dicken Stiefeln hinter ihm her. »Ich habe Neuigkeiten für dich. Es gibt etwas, das du wissen solltest. Velar…«
»Was ist mit Velar?« Bran wischte sich das Wasser mit dem Ärmel seines Hemdes von seiner Wange, auf die es vom Rand der Kapuze tropfte.
»Hast du dich niemals gefragt, warum…« Nangor drehte sich um und stützte sich mit den Fäusten auf der Reling ab. »Warum er dich hasst?«
Bran blieb an der Luke stehen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Hass… Es war lange her, seit er dieses Wort zuletzt gehört hatte.
»Er hat es mir vor ein paar Tagen erzählt. Als wir die Stürme hinter uns hatten, waren sich die Tirganer sicher, dass du und alle anderen auf deinem Schiff ertrunken wären. Taran, Nosser und die Frauen weinten, doch Velar stand im Bug und lachte. Ich habe ihn gefragt, warum, und er sagte, er lache über deinen Tod.«
Nangor lehnte sich mit der Hüfte an die Reling. Bran sah zu dem anderen Langschiff hinüber.
»Er schläft.« Nangor spuckte auf das Deck. »Er schläft wie alle anderen. Aber wenn du willst, erzähle ich dir, was er mir gesagt hat.«
Bran sah ihn an. Nangor räusperte sich und strich sich die nassen Haare aus der Stirn.
»Er hat mir von einem Kampf erzählt«, sagte der Seeräuber. »Einem Kampf, den ihr auf der Wanderung zum Meer überstehen musstet. Einem Kampf gegen Riesen.«
»Die Vokker.« Bran fasste sich an die glatte Narbe, die sich über seinen Nacken erstreckte. »Die Vokker verfolgten uns. Und die Lawine in der Schlucht…«
»Die Vokker verfolgten euch, und als die Lawine in der Schlucht eure Schlitten zerstörte, griffen sie an. Ihr habt den Frauen und Kindern eure Pferde gegeben und habt euch gegen die Riesen gestellt.«
»Sie töteten meine Mutter.« Bran blickte auf seine Hände hinab. »Mutter stürzte vom Pferd. Wir waren machtlos.«
»Du hast in dieser Schlacht dein Ohr verloren.« Nangor lächelte, als sei das Ganze eine dieser unglaublichen Geschichten, die man sich am Lagerfeuer der Jäger erzählte. »Viele starben. Auch die Eltern von Velar.«
»Ich weiß das.« Bran streckte Nangor seine Fäuste entgegen. »Diese Hände haben Vokkerblut auf den Schnee vergossen. Warum erzählst du mir das?«
Nangor fasste sich an den Bart. »Du bist ein guter Krieger. Ich habe das in dem Zweikampf gegen den Sohn des Inselkönigs bemerkt, und Visikal sah es in deinen Augen. Doch etwas geschah, als du an der Seite deiner Brüder kämpftest. Du hättest ihm helfen können, doch du warst im Blutrausch und hörtest nur deine eigenen Kampfschreie. Er lag vor deinen Füßen, doch du hast ihn nicht bemerkt.«
Bran schob die Hände hinter seinen Gürtel. Die Erinnerungen an den Kampf waren undeutlich wie die Bruchstücke eines Traumes.
»Velars Vater.« Nangors Blick verfinsterte sich. »Er lag vor deinen Füßen im Schnee. Du bist zurückgewichen und hast es zugelassen, dass die Vokker ihm den Schädel zertrümmerten. Das hat Velar mir erzählt. Er behauptet, das gesehen zu haben und dass es deine Schuld sei.«
Bran schüttelte den Kopf. Das konnte nicht wahr sein. Er hätte ihm geholfen, wenn er den alten Krian im Schnee liegen gesehen hätte. Doch das Blut hatte ihn geblendet, und die Schreie hallten in seinen Ohren.
»Ich habe ihn nicht gesehen.« Bran schluckte. »Ich hatte Angst. Es war das erste Mal, dass ich kämpfte.«
Nangor legte ihm seinen Arm um die Schulter. »Ich sage nicht, dass es deine Schuld war. Manannan weiß nur zu gut, dass ich in meiner ersten Seeschlacht selbst voller
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