Das Verheissene Land
flatterten wie Flammen im Wind. Dann waren sie bei ihren Frauen, ließen die Waffen fallen, warfen stattdessen die Frauen über die Schulter und sprangen unter Lachen und Klatschen der Zuschauer um das Feuer herum.
Bran und Dielan lehnten sich zurück, denn sie beide waren müde von der langen Wanderung. Dielan betrachtete Konvai, der unsicher dastand und mit seinem Fischstückchen in der Luft herumwedelte. Der kleine Junge murmelte vor sich hin, während er den Tanz mit großen Augen verfolgte.
»Komm zu deinem Vater.« Dielan streckte ihm die Arme entgegen. Da ließ der Junge den Fisch los und rannte auf ihn zu. Er stolperte über den Rand des Fells, fiel zu Boden und weinte. Dielan streckte sich zu ihm, ehe er zusammenzuckte und aufstöhnte. Bran erkannte, dass ihm die Rippe noch immer zu schaffen machte, und kroch selbst zu Konvai hinüber. Er hob den Jungen hoch und setzte ihn bei seinem Bruder ab. Konvai verkroch sich in Dielans Armbeuge.
»Vater«, murmelte der Junge. »Fährliche Mann.«
»Gefährliche Männer.« Dielan tätschelte seinen Kopf. »Aber nicht für uns, weißt du. Zu uns sind sie lieb, Konvai. Genauso lieb wie Hagdar oder Bran.«
Da wurde der Junge still. Bran stützte sich auf die Ellbogen und sah auf ihn hinab. Konvai lag mit dem Gesicht auf Dielans Bauch. »Bran fährlich«, flüsterte er.
Bran stand auf. Er wusste gut, was der Junge meinte. Und Konvai hatte Recht. Er war es, Bran, vom Geschlechte Febals, der das Felsenvolk nach Süden geführt hatte. Er war es, der sie in Gefahr gebracht hatte. Er hatte für sie getötet, er hatte in einen Zweikampf um Tir eingewilligt und ihre Reise damit zu einer kriegerischen Reise werden lassen. Er hatte sie tuscheln hören, sowohl im Zeltlager als auch hier. Die Frauen steckten die Köpfe zusammen und erzählten sich schreckliche Geschichten über ihn. Er sei jetzt zur Hälfte Tirganer und mehr Krieger als Jäger. Und zahllose Männer seien im Krieg unter seiner Hand gefallen – ja, er war mächtiger als Visikal selbst, jedenfalls wenn nur die Hälfte der Schauergeschichten über ihn, die ihm zu Ohren gekommen waren, stimmte.
Tir schlief und so ging er zur anderen Seite des Feuers hinüber, wo Nangor mit bloßen Beinen dahockte und einsam aufs Meer hinausstarrte. Der Seeräuber deutete nur beiläufig einen Gruß an, als sich Bran neben ihm in den Sand fallen ließ. Aber er hob die Hand und zeigte auf etwas im wogenden Dunkel der Wellen.
»Dort.« Er schnaubte und legte sich den Umhang um die Schultern. »Siehst du das?«
Bran kniff die Augen ein wenig zusammen und starrte in die Nacht. Die Oberfläche des Meeres verschwand in Schatten und Finsternis.
»Dielan hat erzählt, dass dieses Land mit Tuur verbunden ist. Und mit Krett und den Reichen, aus denen wir stammen.« Nangor spuckte in den Sand. »Und die Zwerge haben dem Einbeinigen das Gleiche erzählt.«
»Das sind keine Zwerge.« Bran sah zu der Decke hinüber, auf der sich die Waldgeister versammelt hatten. Loke goss noch einmal aus seinem Krug nach. »Das sind Waldgeister.«
»Waldgeister«, wiederholte Nangor. »Egal, sie haben jedenfalls das Gleiche gesagt. Sie seien auf dem Landweg vom Westwald hierher gelangt, sagten sie. Das bedeutet, dass das hier keine neue Welt ist, sondern ein Land, das weit von den Ländern entfernt ist, die wir kennen.«
»Ja und?« Bran verstand nicht, was der Seeräuber mit diesen Worten sagen wollte.
»Dort draußen.« Nangor nickte zum Wasser. »Dort liegt die neue Welt. Dort draußen ist etwas, Bran. Hinter dem Horizont, das kann ich fühlen.«
»Nein.« Bran schüttelte den Kopf. »Nein, dorthin können wir nicht segeln. Wir müssen nach Norden, wie die Träume es mir gezeigt haben. Mein Volk ist kein Volk von Nomaden. Wir brauchen eine feste Heimat. Einen Ort, an dem wir alt werden können.«
Der Seeräuber klopfte ihm auf den Rücken. »Ich werde Visikals Langschiff zu der Küste bringen, von der du geträumt hast. Das habe ich versprochen und ich stehe zu meinem Wort. Aber danach, wenn wir angekommen sind…«
Bran sah ihn an. Nangors Blick war seltsam fern.
»Der Sturmrand war das Einzige, wovor ich mich gefürchtet habe, doch ich habe meiner Furcht getrotzt. Und seit sich die Stürme legten und wir aus dem blutroten Fahrwasser hinausgeglitten sind, besitzt mich das Meer stärker als jemals zuvor. Ich werde niemals zurückkehren, Bran. Ich habe das Meer sprechen gehört. Es lockt mich.«
Die Blätter begannen von den Zweigen zu fallen.
Weitere Kostenlose Bücher