Das Verheissene Land
jammern. Es war kalt, und mit einem Mal war er wieder in den Bergen, und der Sturm pfiff durch die dünnen Äste der Birken.
»Bran!« Ein alte, brüchige Stimme riss ihn aus seinen Träumen. Er blinzelte in das Licht der Flammen. Alle standen sie vor ihm. Turvi schwankte auf seinen Krücken. Lokes niedrige, gedrungene Gestalt trat, den Bart in der Hand, auf ihn zu.
»Wir haben ein Geschenk«, erklärte der Waldgeist und richtete seinen starren Blick auf das Kind in Tirs Schoß. »Ein Geschenk für deinen Sohn.«
Tir drückte sich fester an den Baum und legte sich den Schal um die Schultern. Bran erkannte, dass sie misstrauisch war. Und er wusste, warum. Sie war Tirganerin und wusste nichts von der Ehre und dem guten Willen der Waldgeister.
»Ich bitte dich, deinen Sohn zu halten, Bran.« Loke verbeugte sich kurz und strich sich den Bart über die Brust nach unten. Dann drehte er sich zu Bile um, der seinen Sack mitgebracht hatte. Die Waldgeister begannen Leinensäckchen, getrocknete Pilze und Rindenstückchen auszupacken. Loke scheuchte die jüngeren Waldgeister mit einer Handbewegung fort und leerte den Sack kopfüber aus. Decken, Schnüre und ein Paar ausgetretene Rindenstiefelchen purzelten in den Staub.
Tir reichte Bran das Kind. Er drückte es mit dem Arm unter dem kleinen, weichen Rücken an seine Brust. Dann stand er auf und trug den Kleinen zu den Waldgeistern hinüber.
»Unnütze Trollbrut!« Loke kniete im Sand und wühlte so heftig zwischen den Sachen herum, dass sie in alle Richtungen flogen, und Männer und Frauen scharten sich um ihn, um zu sehen, was da passierte.
»Haben die Waldteufel euch den ganzen Verstand aus euren dicken Schädeln geraubt?« Loke schmiss den Sack zwischen die Bäume und raufte sich den Bart. »Holt die anderen Säcke! Trollbrut! Ich werde euch die Bärte ausreißen, Haar für Haar! Ich werde…!« Loke fasste sich an den Kopf und atmete aus, ehe es ihm endlich gelang, sich zu beruhigen. Bile, Vile und Bul stürmten zwischen Männern, Frauen und Kindern hindurch, purzelten am Feuer übereinander und rissen die Säcke an sich. Dann drängten sie sich zu Loke vor und kippten alles aus.
»Erinnert ihr euch an Lis Hochzeit?« Er sprach zu den Lehrlingen, die ihre bärtigen Köpfe senkten und nickten. »Auch da hätten wir es beinahe geschafft, das Geschenk zu verlieren! Und damals habe ich es euch mehrmals eingebläut: Ihr dürft keine Geschenke von Gamle vertändeln!«
Loke schob die Hände in den kunterbunten Haufen der ausgeleerten Sachen, schloss die Augen und wühlte herum. Plötzlich erstarrte er und zog mit gewichtiger Miene einen länglichen in Leinentücher gewickelten Gegenstand hervor. Er streckte ihn über den Kopf und wandte sich an Bran.
»Halte das Kind zu mir nach unten«, bat Loke.
Bran kniete vor dem Waldgeist nieder. Männer und Frauen drängten sich dichter heran und die Kinder kletterten auf die Schultern ihrer Väter, um besser sehen zu können. Loke wickelte den Gegenstand sorgsam aus dem Leinentuch. Vile streckte seine Hand vor und strich Ulv über die Wange. Bran spürte, dass Tir ihn an der Schulter fasste, doch er wollte es den Waldgeistern nicht verwehren, dem Kind ihren Respekt und ihre Freude zu erweisen.
Loke schlug die letzte Lage Leinen beiseite und ein goldener Dolch zeigte sich in seiner Hand. Er war kaum länger als der Fuß eines Mannes, doch aus einem Stück geschmiedet und mit Kreisen und Wellenlinien verziert. Die Klinge war dünn wie ein Blatt und kaum breiter als zwei Finger.
»Das ist das Geschenk der Waldgeister. Ein goldener Dolch.« Loke hielt ihn über den Kopf. Er drehte sich um und zeigte Turvi, Dielan, Hagdar und all den anderen die dünne Klinge. Die Männer sperrten die Augen auf, denn keiner hatte je ein derart schönes Schmiedewerk gesehen. Sie sahen, dass der Dolch aus Gold war, aber dennoch sah er wie aus einem Stück Holz geschnitten aus, denn die Klinge war mit schwarzen Streifen, die wie die Jahresringe eines Baums aussahen, durchzogen.
»Das ist Der Gamle«, sagte Loke, »und wir überreichen ihn dem Kind mit den zwei Namen, Ulv, dem Sohn von Tir und Bran.«
Der Waldgeist mit dem weißen Bart legte den Dolch in Ulvs Hände. Da trat Tir an Brans Seite und griff nach dem Geschenk. Bran verstand, dass es ihr nicht geheuer war, dass das Kind eine derart scharfe Waffe in den Händen hielt, doch er wollte die Waldgeister nicht verletzen, indem er den Dolch aus den Händen des Kindes nahm.
»Lass den Sohn des
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