Das Verheissene Land
die Reling. Auch Tir hatte wieder die Kraft gefunden, sich zu erheben. Sie stand im Bug.
»Ich bin dein Häuptling.« Bran sah Cergan in die Augen. »Jeder von euch hat eine Frau meines Volkes genommen und ihr seid uns aufs Meer gefolgt. Und ich habe für dich gekämpft, Cergan. Ich habe dich vor Velar gerettet.«
Cergan fauchte ihn an. »Du bist kein Häuptling. Wenn du einer wärst, hättest du Velar getötet! Und dann würdest du diese Zwerge töten.«
Bran warf sich auf ihn. Im Sprung ließ er den Speer fallen und stieß Cergan nach hinten, ehe noch einer der anderen erkannte, was geschah. Er schlug mit seinen Fäusten auf Gesicht, Bauch und den gebrochenen Arm ein. Cergan schrie und versuchte wegzurobben, doch da schlang Bran seinen Ellenbogen unter Cergans Kinn und zog ihn hoch.
»Ich bin der Häuptling!« Er straffte seinen Griff, bis Cergan nach Luft rang, und dann ballte er seine Faust über dem Kopf. »Ich bin Bran, der Häuptling des Felsenvolkes!«
Turvi schlug mit einer seiner Krücken auf die Reling und die Männer riefen den Namen ihres Häuptlings. Bran ließ Cergan los, der daraufhin von den anderen Tirganern weggetragen wurde. Erneut hatte er seine Macht und Stärke gezeigt, wie es ein Häuptling tun musste. Die Tirganer würden ihm jetzt folgen. Sie würden nichts anderes wagen.
Bran und die Waldgeister gingen zum Schiff zurück. Loke war schweigsam und sah unter seinen buschigen Augenbrauen zu ihm auf. Bran forderte keine Dankbarkeit von den vieren, doch so, wie Loke ihn anstarrte, schien er ihm Vorwürfe über das Geschehene zu machen. Doch Bran kannte keine anderen Mittel, seine Mündigkeit als Häuptling zu beweisen. Gewalt war auch Nojs Weg gewesen, und das war eine Sprache, die die Männer verstanden.
Bran kletterte an Deck und umarmte Tir. Turvi trat zu ihm, klopfte ihm auf den Rücken und lobte ihn. Bran hörte Dielan und Hagdar, die sich zu ihm drängten und ihm ihre harten Fäuste auf die Schultern und seinen schmerzenden Nacken legten. Doch noch eine Stimme drang zu ihm durch. Von Nangors Langschiff schrie ihm jemand etwas zu. Bran ließ Tir stehen und drängte sich an die Reling. Es war Velar. Der blonde Mann war am Bug auf die Reling geklettert.
»Wir sind wohl doch nicht so verschieden, du und ich!« Velar lachte. »Fast hättest du den Tirganer wie einen besoffenen Kretter erwürgt! Aber das passt zu dir, einen Mann zu verdreschen, der nur mit einem Arm kämpfen kann. Nicht wahr, Einohr?«
Wut kochte in ihm hoch. Bran hörte die Männer um sich herum nicht, er hörte einzig Velars Hohn. Doch die stillen Stimmen, die Stimmen der Vergangenheit, flüsterten in seinem Kopf. Er hörte die mörderischen Schreie der Krieger, er hörte den rastlosen Klang der Schwerter und das Gehämmer auf den Schilden. Er sah den Bogen und den Pfeilköcher unter der Reling und die quälenden Klauen strafften ihren Griff über seinen Augen und riefen den grauen Schleier herbei. Bran riss den Bogen von der Reling, spannte ihn und legte einen Pfeil an die Sehne. Velar sprang von der Reling, doch Bran spannte den Bogen und schoss den Pfeil ab.
Bran stürzte nach vorne. Er folgte dem Pfeil mit den Augen. Velar öffnete den Mund, doch er vermochte nicht mehr zu schreien. Der Eisenschnabel schoss auf ihn zu, bohrte sich durch den Ärmel seines Hemdes und schlug auf der anderen Seite des Schiffes in die Reling. Bran blinzelte. Velar fasste sich an den Arm, schob einen Finger in den Riss seines Hemdes und lächelte. Dann lachte er laut und höhnisch. Bran ließ den Bogen fallen. Ihm wurde schwarz vor Augen.
Da war Dielan zur Stelle und stützte ihn.
»Deine Brust…« Bran kniff die Augen zusammen und versuchte sich auf seine Beine zu stützen. »Deine Rippe muss noch heilen, Dielan.«
»Ich setze dich hier ab.« Dielan flüsterte ihm ins Ohr. »Niemand darf etwas wissen.«
»Wir müssen von hier fort.« Bran spürte weiche Hände auf seiner Stirn. Tir hockte sich vor ihn.
»Bran ist erschöpft von der langen Wanderung!« Dielan sprach zu den Männern. »Er schleppte mich über die Berge und kämpfte mit Dämonen! Und all unser Wasser sparte er für mich. Jetzt braucht er Ruhe. Lasst uns das Schiff aufs Meer hinausziehen, Freunde!«
Die Männer ließen Bran an der Reling sitzen und Hagdar stellte sich ans Steuer. Bran lauschte ihren Rufen, und Tir legte seinen Oberkörper auf die Decksplanken und stützte seinen Kopf in ihrem Schoß. Sand knirschte. Unter den rhythmischen Rufen der Männer glitt das
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