Das Verheissene Land
Schiff langsam aufs offene Wasser und schon bald sah er sie wieder über die Reling an Bord klettern. Er spürte das Meer unter dem Kielbalken. Ruder peitschten das Wasser. Das Schiff drehte. Irgendwo brüllte Hagdar. Bran nahm Tirs Hand und schloss die Augen. Sie waren wieder auf dem Meer.
Das Felsenvolk ruderte die Langschiffe aus der Bucht und zwischen den Untiefen hindurch. Einen Pfeilschuss vom Strand entfernt wandten die Steuermänner die Schiffe nach Norden und die Mannschaft zog die Ruder ein und ließ die Segel herab. Der frische Wind wehte aus Südost. Nangor und Hagdar steuerten ihre Schiffe mit den Wellen und hielten reichlich Abstand zu der zerklüfteten Küste und den Untiefen im Osten.
Bran ruhte den ganzen Tag an Deck. Tir breitete eine Decke über ihn und streichelte ihm durch die Haare, und sie verließ ihn nur, um nach Ulv zu sehen. Gegen Abend half Dielan Bran unter Deck. Der Bruder sprach von guten Strömungen und Rückenwind, doch Bran war müde, und die Krallen bohrten sich hinter seine Stirn. Er legte sich auf die Felle, auf denen Kianna auf den Tod gewartet hatte. Tir hockte im Halbdunkel der Talglichter. Sie stillte das Kind. Der Anblick tat Bran gut, denn er wusste, dass sein Sohn immer da sein würde, wie schlecht es ihm selbst auch ging. Ulv würde für ihn jagen, wenn er selbst zu alt war. Er würde die erlegten Hirsche auf seinem starken Rücken zu ihm tragen und an der Feuerstelle seiner Eltern essen.
Bran schlief an diesem Abend früh ein. Tir zog den Vorhang zu und legte ihren Sohn auf ein Fell am Rande des Schiffsrumpfes, ehe sie neben Bran niederkniete und die Kordel löste, die sein Hemd zusammenhielt. Sie zog ihm die Stiefel aus und drehte ihn auf die Seite, so dass sie ihm die abgenutzten ledernen Hosen ausziehen konnte. Bran schlief noch immer fest, als sie seinen Oberkörper aufrichtete und ihm das Hemd über den Kopf zog. Dann legte sie ihn zurück auf die Felle. Sie löste den Knoten der Haizahnkette, denn die langen, gekrümmten Zähne waren so scharf, dass er sich im Schlaf an ihnen schneiden könnte. Sie legte die Kette auf den Kartentisch. Dann breitete sie zwei Decken über ihn, nahm ihr Kind auf den Arm und ging zur Feuerstelle. Die Frauen kochten Fischsuppe, und sie und das Kind brauchten etwas zu essen.
Am Feuer wurde eifrig geredet, denn das Felsenvolk war glücklich, dass es den bedrückenden Strand hinter sich gelassen hatte und das Geheul der Dämonen nicht mehr zu hören brauchte. Sie erzählten sich die alten Geschichten und dachten an die Zeit, in der sie im Lanzengebirge lebten. Turvi erzählte noch einmal von Brans Träumen und Erscheinungen; bald würde ihr Häuptling sie in die fremden Berge hineinführen und das Tal finden. Es würde ein guter Ort mit viel Wild und sauberen Bächen sein, meinte der Einbeinige, und die Männer am Feuer nickten. Sogar die Waldgeister, die sich einen Platz ganz hinten an der Schmiedebank gesucht hatten, krochen in das Halbdunkel vor und lauschten den Geschichten des Felsenvolkes.
Bran lag allein im Bugraum, und die Stimmen erreichten ihn nur als fernes Flüstern. Er spürte die Wellen, die den Schiffsrumpf umspülten, und die Planken waren wie seine eigene Haut. Er trieb nach Norden, er war nackt und ihm war kalt. Die Strömungen packten ihn. Der Wind brüllte ihn an. Er atmete nicht. Er hatte keine Kraft mehr und trieb wie ein toter Mann im Wasser. Er fror.
Die Reise war lang, und er spürte einzig das kalte Wasser. Das Meer war sein Blut, sein Leben. Und er lebte ein ganzes Jahr und noch einen Herbst in der Umarmung des Meeres.
Schnee. Er sah Schnee unter einem dunklen Himmel. Und wie eine Erinnerung aus einer anderen Welt hörte er das Geschrei von Seevögeln und das Rauschen von Flügelschlägen. Er reckte sich dem Schnee und den Möwenschreien entgegen, und der Wind hob ihn aus dem Wasser empor und ließ ihn über den Wellen schweben.
Er war am Ende des Meeres. Die Wellen brachen sich an dem schwarzen Strand. Viele Menschen standen dort. Sie waren still und senkten voller Trauer die Köpfe. Ein Mann kniete am Ufersaum. Er weinte. Der Wind wehte ihm die Haare aus dem Nacken und entblößte die weiße Narbe und das verstümmelte Ohr.
Bran schrie. Er stürzte ins Meer hinab und schwamm zum Land. Doch das Meer zog ihn nach draußen und lange Tangarme wickelten sich um seine Beine. Bran zückte sein Messer und schnitt sich frei. Er kämpfte mit all seiner Kraft gegen die Strömungen, doch es war kein
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