Das Verheissene Land
alternden Waldgeist, denn alles an Gamle deutete darauf hin, dass der Wald ihn sich langsam zurückholte. Er lag zwischen den Wurzeln und sein Bart überwucherte ihn und streckte seine Locken in den Wald aus. Um ihn herum lagen seine Habseligkeiten. Der Speer, über und über voll mit Trollskalps, Knochen und getrockneten Pilzen, lehnte an einem Baumstamm. Der Krug mit dem Apfelwein stand so dicht bei ihm, dass er ihn erreichen konnte, ohne seinen dicken Körper bewegen zu müssen. Das Flintmesser lag in einem Berg Laub und den Mantel hatte er über seine Beine gelegt. »Geh nach Westen.« Sein Mund war ein schmaler Schatten in dem verfilzten Bart. »Wenn ihr das Rabenvolk trefft, musst du Ihm diesen Dolch geben.« Er hob einen Arm, und das Gold glitzerte in dem wenigen Licht, das durch die Baumkronen sickerte. Loke löste die Finger des Alten von dem Schaft, denn Gamle hatte ihn so lange in der Hand gehalten, dass sich seine Finger nicht mehr von allein öffnen wollten. »Wir haben ihn hier versteckt, wir Häuptlinge. Er ist über Generationen vererbt worden. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, ihn in die Hände des Wiedergeborenen zu legen. Er wird ihn zerbrechen und damit beweisen, dass er der Wanderer ist. Und du Loke…« Gamle hustete schwer und lange. Loke gab ihm seinen Krug, doch Gamle hatte nicht genug Kraft zu trinken. Er rang nach Atem und legte seine Hand auf die nächste Wurzelknolle. Da wurde er wieder ruhig. »Nimm die zwei Teile des Dolches an dich und begleite das Rabenvolk, Loke. Sorge dafür, dass sie sicher in das Tal kommen. Das ist deine Aufgabe. Danach verlasse sie wieder und komm in diesen Wald zurück. Hier sollst du dann ein Menschenalter warten, bist du der älteste der Trolljäger bist. Und dann, im Herbst deines Lebens, wirst du den Wiedergeborenen noch einmal sehen. Er wird deine Hilfe brauchen, Loke. Und du musst tun, was du für das Beste hältst. Du wirst es wissen, und du wirst es erkennen.«
»Doch wie soll ich ihn wieder erkennen?« Loke ergriff Gamles Hand.
»Der Wiedergeborene altert nicht so schnell wie die anderen seines Volkes. Er wird wie ein junger Mann aussehen, obgleich er schon viele Winter erlebt hat. Und du wirst ihn an einer Narbe in der linken Hand und an einer Kette aus Fischzähnen erkennen.«
Das waren Gamles Worte gewesen, und am nächsten Morgen hatte sich Loke von ihm verabschiedet und war aus der Dunkelheit der Turmbäume hinausgewandert. Er sagte den Lehrlingen nichts davon, doch er wusste, dass er Gamle nie mehr wiedersehen würde.
Bran und Tir wachten bei Kianna, während der Mond langsam nach Westen glitt und der Morgen graute. Tir wechselte die feuchten Tücher auf der Stirn der Kranken und sang Weisen aus ihrer Heimat, doch sie wussten beide, dass sie nicht viel tun konnten. Tir hatte keine Kräuter gegen ein derartiges Fieber.
Als das Morgenlicht endlich durch die Luke schien, riss Kianna die Augen auf. »Krieger aus dem Süden…« Sie starrte vor sich hin und versuchte aus dem Bett zu kriechen, doch Tir hielt sie fest. »Es sind so viele.« Kianna sank zusammen und ihre Lider schlossen sich über ihren blutunterlaufenen Augen. »Sie blenden mich, sie blenden mich…«
Tir legte ihre Arme um sie und schluchzte. Bran fasste sich an seinen schmerzenden Nacken. Die quälenden Klauen hinter seiner Stirn erwachten. Kianna lag jetzt ganz ruhig da. Ihr Mund war geöffnet, doch er hörte, dass sie nicht mehr atmete. Er zog Tir von ihr weg und sie schmiegte sich weinend und zitternd an seine Brust.
Bran nahm Tir mit an Deck. Hagdar und Dielan schlugen die Decken zur Seite, unter denen sie die Nacht verbracht hatten, und erhoben sich, und Bran nickte ihnen zu. Dielan klopfte ihm auf die Schulter, und dann kletterte er gemeinsam mit Hagdar unter Deck.
Das Felsenvolk begrub Kianna am Strand. Im Schatten eines Apfelbaums hoben sie eine tiefe Grube aus, und die Frauen wickelten die Tote in eine Decke. Bran legte Kianna eigenhändig ins Grab, denn das war seine Pflicht als Häuptling. Er warf Sand über sie und betete zu den Namenlosen, sich ihrer anzunehmen. Dann wandte er dem Grab den Rücken zu. Sein Blick glitt an Tirs gebeugter Gestalt vorbei auf die Wellen, die nach Norden trieben. Er schloss die Augen und sog den Duft von Tang und Salzwasser ein. Er wusste, dass es an der Zeit war weiterzusegeln.
»Zurrt die Tonnen fest und löst die Taue.« Bran trat in die Mitte des Felsenvolkes. »Bindet die Riemen um die Bugsteven. Wir müssen die Schiffe
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