Das Verheissene Land
ist.«
Der Krieger schüttelte den Kopf. Er warf einen Blick auf das Steingrab am Ende des Lagers, ehe er wieder die Fäuste in die Seiten stemmte.
»Damals, als das Drachenschiff kam, lebten die Väter unserer Väter.« Er zeigte auf die Langschiffe. »Und die Väter unserer Väter glaubten, dass es Götter waren, die Mansarer, die die Schiffe lenkten. Weil die Schiffe aus dem Nebel kamen und die Sonne sich in ihren blanken Helmen spiegelte. Aber Götter waren die Mansarer wahrlich nicht. Sie brachten Schande über unsere jungen Frauen und es kam zu einer großen Fehde. Daraus haben wir etwas gelernt. Wir lernten zu töten, und wir lernten, allen Fremden zu misstrauen. Wir vertrauen nur den Völkern nordöstlich der Berge, denn sie sind von unserem Geschlecht. Und nun sagt mir: Warum sollen wir euch trauen?«
Turvi stockte. Bran legte seinen Arm fester um den Rücken des Alten. Zum ersten Mal, solange er sich erinnern konnte, fand Turvi keine Worte. Bran sah die anderen Männer an, aber sie standen genauso stumm da.
Da trat Loke zwischen Hagdar und Linvi vor. Der Waldgeist schob den Hut in den Nacken, stützte sich auf seinen Speer und räusperte sich. Seine Schüler stellten sich hinter ihn. Vile spähte ängstlich über die Schulter.
»Ehre!« Loke schüttelte den Speer. »Das ist ein Wort, das wir alle kennen. Brans Volk ist ein Volk von Ehre – und eures ebenso. Und Bran wird euch sein Ehrenwort geben, dass sein Volk euch kein Leid zufügen wird.«
Die Männer auf dem Grashügel folgten ihm mit dem Blick, als Loke zu Bran ging. »Zeig ihnen die Narbe«, flüsterte er. »Das abgerissene Ohr. Zeig es ihnen.«
Bran verstand nicht, warum der Waldgeist ihn darum bat, aber er hob sein Haar an und wandte den Kriegern die rechte Gesichtshälfte zu.
»Seht her!«, rief Loke. »Seht die Narben des Schmerzes! Seht das Leid, das der Häuptling dieses Volkes erlitten hat! Er hat für seinen Stamm gekämpft, und er wird wieder für ihn kämpfen. Aber er ist nicht gekommen, um zu kämpfen. Er ist gekommen, um euch um Freundschaft und Schutz zu bitten!« Loke entfernte sich von Bran, ließ den Speer fallen und breitete die Arme aus. »Seine Frau liegt krank auf ihrem Lager, Fremde. Das neugeborene Kind weint! Habt Mitleid mit diesem Volk!«
Der Schwarzbärtige wandte sich an den Krieger, der ihm am nächsten stand, ohne Bran und die anderen auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Die Krieger wechselten ein paar Worte, dann griff der Schwarzbärtige sich ans Kinn und trat erneut vor.
»Ein Mann soll uns folgen.« Er zeigte auf Bran. »Du mit der Narbe. Komm. Hier könnt ihr eure Zelte nicht lassen. Der erste Sturm wird sie wegblasen.«
Bran sah Turvi an. Der Einbeinige beugte sich zu den Krücken und nickte. Bran warf einen Blick zum Zelt. Tir war dort drinnen geblieben, aber er vermutete, dass sie mitbekam, was vor sich ging.
»Na? Ich warte!« Der Schwarzbärtige verschränkte die Arme vor der Brust.
Bran stieg den steilen Grashügel hinauf. Und dabei sah er, dass die Erde voller Löcher war, die wie Erdbauten aussahen, aber es waren mehr, als er je gesehen hatte. Trockene Hasenkötel knirschten unter seinen Stiefelsohlen. Ihm war unvorstellbar, wie so viele Hasen auf so engem Raum leben konnten, denn im Lanzengebirge lebten die Hasen ebenso verstreut wie die Wölfe, von denen sie gejagt wurden. Vielleicht war das ein reiches Land. Vielleicht gab es hier keine Wölfe. Er stützte sich auf den Oberschenkeln ab und sah zu den Kriegern auf. Es waren ungefähr so viele wie seine eigenen Männer, wenn nicht mehr.
Die Krieger standen dort, wo sich der Hügel langsam abflachte. Bran streckte den Rücken. Die Landschaft hinter ihnen war genauso platt wie ein Meer. Die Ebene erstreckte sich bis weit an den Horizont im Osten und im Süden. Nördlich von ihm stieg das Land zu dem Höhenzug an, den er schon vom Strand aus gesehen hatte. Steine und Geröll ragten aus dem Gras, und wenige Pfeilschüsse hinter dem Höhenzug streckte sich ein mit Laubbäumen bewachsener Bergrücken zu der steil abfallenden Bergwand.
Der Schwarzbärtige kam auf ihn zu. Bran legte eine Hand auf den Messerknauf. Jetzt sah er, wie kräftig der Krieger tatsächlich war. Selbst Hagdar war kleiner als er. Sein Hals war so dick wie ein Oberschenkel, und sein Lodenumhang spannte über einem Paar breiter Schultern. Seine Hände waren rissig und grob und seine Fingernägel hatten schwarze Ränder. Seine braunen Augen lagen tief unter der Stirn. Er
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