Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
»Dort könnt ihr euer Lager aufschlagen. Wir werden mit den Booten um die Landzunge herumfahren und den Rest deines Volkes holen. Und heute Abend wollen wir eure Geschichte hören.«
    Bran dachte an das letzte Mal, als sein Volk sein Lager auf einem Feld hatte aufschlagen dürfen. Ein Jahr war das jetzt her. Sie hatten in Tirga überwintert, während er selbst in den Krieg der Tirganer gezogen war.
    »Mein Volk wird euch sehr dankbar sein«, sagte Bran. »Aber wir werden nicht lange bleiben. Wir wollen noch vor Anbruch des Winters ins Gebirge.«
    Karr antwortete nichts darauf. Er schaute zum Himmel hoch, schnupperte in den Wind und ging weiter.
     
    Die Männer des Dorfes schoben die Boote aufs Wasser und ruderten um die Landzunge herum. Das Felsenvolk baute das Lager wieder ab, und für den Rest des Tages glitten die spitzen Boote mit Fellen, Wasserschläuchen, Tonnen, Kindern und all den anderen Habseligkeiten des Felsenvolkes zwischen dem Lagerplatz und dem Dorf hin und her. Karr zeigte ihnen, wo sie ihr Lager aufschlagen konnten, und als der Abend anbrach, stieg Rauch aus den Öffnungen der spitzen Zelte.
    Bran trug Tir über den Höhenzug, weil er sie nicht noch einmal mit aufs Meer hinausnehmen wollte. Er legte eine Decke um sie, und auf dem Kamm des Hügels stützte er ihren Kopf, um sie einen Blick auf das Gebirge werfen zu lassen, das bis zum Himmel ragte. Tir hatte noch niemals so hohe Berge gesehen.
    Karrs Bruder Garr gewährte ihnen Unterschlupf in seinem Haus gleich neben dem Feld. Er war groß und dick und hatte einen feuerroten Bart und Hände wie Bärenpranken. Der große Mann kam ihm bis zur Brücke entgegen und begleitete ihn zum Haus. Die ganze Zeit über hatte Tir mit dem Gesicht an seiner Brust gelegen und die Augen nur einmal geöffnet, als er ihr die Berge gezeigt hatte. Aber jetzt blinzelte sie mit schweren Augenlidern und sah die Menschen, Häuser und all die fremden Dinge um sich herum an. Und als Bran über die Türschwelle trat, legte sie ihre Arme um seinen Nacken und versuchte, die Füße auf den Boden zu stellen. Aber Bran hielt sie fest. Er wusste, wie schwach sie war.
    Sie standen in einem großen Raum, dessen Wände mit Bären- und Hirschfellen bedeckt waren. In der nördlichen Ecke brannte ein Feuer im Kamin und um einen grob gezimmerten Langtisch in der Mitte saßen fünf Kinder. An den Balken, die den Eingang einrahmten, lehnten Speere und Bögen. Hirschkeulen, Trockenfisch und Wasserschläuche hingen an Eisenhaken unter der Decke. Die Kinder, drei Jungen und zwei halbwüchsige Mädchen, standen vom Tisch auf, als Bran vorbeiging, und starrten Tir mit großen Augen an.
    Garr öffnete eine Tür am Ende des Raums. Seine älteste Tochter reichte ihm ein Talglicht. Garr ging hinein und steckte es in eine Halterung an der Wand, ehe er wieder herauskam und Bran zu sich winkte. Garr war offensichtlich ein Mann weniger Worte, dachte Bran, bisher hatte er noch keinen Ton gesagt. Aber das, was er nicht sagte, wog er in Gastfreundschaft auf. In dem Raum stand ein Bett, und das Licht der Fackel fiel auf ein paar dicke Decken. Bran schob sich seitwärts durch die schmale, niedrige Türöffnung. Er legte Tir auf das Bett und breitete die Decken über sie. Dann setzte er sich auf einen Stuhl neben das Bett. Es gab auch noch einen kleinen Tisch, und auf dem Tisch standen eine Eisenschale, ein Krug und ein Leinenlappen.
    Tir streckte die Hand nach ihm aus und fragte nach Ulv. Bran lächelte sie an. Linvi würde ihn bald bringen. Aber jetzt sollte sie sich erst einmal ausruhen. Er goss Wasser in die Schüssel und befeuchtete den Lappen. Vor einem Jahr war sie diejenige gewesen, die ihn gewaschen hatte. Da war er der Verletzte gewesen, und sie war eine von Tirgas Galuenen.
    Bran legte ihr den Lappen auf die Stirn und wischte ihr den Schweiß ab, so wie sie es mit ihm gemacht hatte. Tir schloss die Augen, legte den Kopf zurück und atmete tief und ruhig. Vor dem Haus erklangen die Hämmer der Schmiede auf den Ambossen.
     
    Loke trat in das Laub auf dem Boden. Die gelben Blätter wirbelten auf und rieselten wieder zur Erde. Er fing eins zwischen den Handflächen auf. Das Blatt lief an einem Ende spitz zusammen wie eine Speerspitze. Es war lange her, dass Loke so ein Blatt gesehen hatte. Er stand am Berghang und um ihn herum schwankten die hängenden Zweige der Weidenbäume. Bile, Vile und Bul kugelten über den Waldboden, sie hatten Laub in den Bärten und überall lagen Pilzstücke verstreut. Loke

Weitere Kostenlose Bücher