Das Verheissene Land
nackten Stämmen. Tir stieg selbst über den Bach, der viel Schmelzwasser führte. Bran hastete hinter ihr her und wischte das Laub von der Bank, ehe er seine Jacke auszog und sie auf das nasse Holz legte. Tir ließ sich mit einem Seufzer nieder.
Bran setzte sich neben sie. Der Schatten linderte die Schmerzen, die hinter seiner Stirn brannten. Das Sonnenlicht reichte schon, um die Klauen zu wecken, und die Frühlingssonne hatte noch viel von dem stechend weißen Winterlicht in sich. Doch hier, im Schutz der Stämme und Büsche, erreichte es ihn nicht, so dass er über das Meer blicken konnte. Die obersten Hausdächer versperrten den Blick auf den Hafenplatz, doch er erahnte die Zweimaster hinter der Mole. Und draußen vor der Mole spielte das Sonnenlicht mit den Wellen und ließ das Meer zu einem gewaltigen Schild aus gehämmertem Eisen werden.
»Das Meer ist so schön.« Bran nahm Tirs Hand und streichelte mit dem Daumen über ihre weiße Haut. Er hatte ihr so viel zu sagen, so viel Gutes, doch er konnte die richtigen Worte nicht finden.
Tir wartete eine Weile, ehe sie antwortete.
»Du warst tüchtig mit dem Schiff« sagte sie endlich. »Die Männer sprechen darüber. Sie fühlen sich jetzt sicherer.«
»Wir haben ein gutes Schiff.« Bran beugte sich vor und sah an den Zweigen vorbei, die ihm die Sicht auf die Route nach Westen versperrten. »Die Tigam ist mit dem Meer vertraut. Sie wird die Stürme überstehen und uns die andere Seite zeigen.«
Tir legte seine Hand in ihren Schoß. Sie strich mit dem Zeigefinger über seine Fingerknöchel. Sie waren rau und hart geworden wie die Fingerspitzen und Handflächen. Abends konnte sie einfach nur dasitzen und ihm zusehen, wenn er die Taue verlängerte oder Sehnen für die Bögen drehte. Oft zwinkerte er ihr zu, ehe er mit seiner Arbeit fortfuhr.
»Wann sollen wir aufbrechen?« Tir nahm seine Hand zwischen die ihren.
Bran saß noch immer da und starrte auf den Horizont im Westen. Er hörte den Zweifel in ihrer Stimme. Sie hat Angst vor der Zeit, die vor ihr lag. Sie alle hatten Angst davor. Doch die Zukunft des Felsenvolkes lag nicht in Tirga. Sie lag in dem Land dort draußen, in dem Tal hinter dem schwarzen Strand und den Bergen. Und Tir war jetzt seine Frau. Sie gehörte jetzt zu seinem Volk.
»Wir werden warten.« Bran legte seinen Arm um sie. »Wir können doch nicht vor der Geburt aufbrechen. Du brauchst Zeit und Ruhe.«
Sie schmiegte sich weich und warm an seine Brust. Er schloss die Augen. Wenn er lauschte, konnte er ihren Herzschlag hören. Er spürte ihn an seiner Handfläche, und er roch ihr Haar, ein süßer, wundersamer Duft, der sich seinen Weg durch den Geruch der Lagerfeuer bahnte.
»Du musst bei mir sein.« Tir sprach in sein Hemd. »Egal, was geschieht, du musst bei mir sein. Allein stehe ich das nicht durch.«
Bran lehnte seine Wange an ihren Kopf. Er verstand nicht, warum Tir ihn schon wieder darum bat. Sie war doch seine Frau. Vielleicht wurden ja alle Frauen so, wenn sie ein Kind erwarteten. Nach allem, was er wusste, hatten Dielan und Hagdar Ähnliches von ihren Frauen gehört. »Eine Geburt ist etwas Großes«, hatte Turvi gesagt. »Zu keiner Zeit sprechen die Namenlosen derart stark wie während einer Geburt. Und wenn du das Kind vor dich hältst und in deine eigenen Augen schaust, weißt du, dass du in Frieden sterben kannst.«
»Es gibt nichts, wovor du Angst haben müsstest.« Bran erhob sich. »Ich werde jeden Tag bei dir sein und dich halten, wenn das Kind kommt, auch wenn das nicht der Brauch meines Volkes ist.«
Sie schob sich bis zum Rand der Bank vor, ehe sie ihm die Hände reichte und aufstand. Sie war jetzt müde. Ihr Bauch sah an ihrem schmalen Körper so seltsam groß aus. Sie streckte den Rücken und rieb sich die Hüften. Bran schlang seinen Arm um sie. Da legte sich wieder der gequälte Zug auf ihr Gesicht. Es sah so aus, als hätte sie vor etwas Angst, doch Bran dachte an Turvis Worte. Alles war, wie es sein musste.
Der Einbeinige zog sich an diesem Tag zurück. Nachdem ihm Dielan und Kai vom Langschiff an Land geholfen hatten, humpelte er murmelnd und aufs Meer schauend ins Lager zurück. Nicht einmal Eyna versuchte sich ihm zu nähern, denn das Felsenvolk kannte den alten Weisen und wusste, dass er in dieser Stimmung nicht ansprechbar war. Er war so aufgeregt gewesen, so voller Eifer, wie sie es nicht mehr bei ihm gesehen hatten, seit er verkündet hatte, dass Tir Brans Frau werden sollte, doch dann war die
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