Das Verheissene Land
Zeiten: von der Wanderung unter Kalan, der Schlacht gegen die Kretter, von Kragg und der Felsenbrücke, die aus der Ebene emporwuchs und das Felsenvolk in die Sicherheit der Felsenburg führte. Doch all das, all diese Erinnerungen an Zeiten und Orte, die nie wieder zurückkommen würden, waren vergebens. Sie waren jetzt auf dem Meer und hier herrschte Beravs Wille. Bran wusste nicht, ob die Männer das wirklich schon begriffen hatten, doch oft kamen die Kinder zu ihm, wenn er am Ruder stand, und fragten ihn, ob er Seeungeheuer gesehen habe und ob es hier draußen Seeräuber gebe, oder anderes, über das sie Gerüchte gehört hatten. Dann deutete Bran zum Bug und sprach mit ihnen über das Meer, über Stürme und Tage, an denen es spiegelblank war wie ein gehämmerter Schild. Er lehrte sie, wie das Segel dem unsichtbaren Wind ein Gesicht gab, und zeigte ihnen, wie das Schiff auf jede noch so kleine Bewegung reagierte, die er mit dem Steuerruder machte.
Die Sonne stand hoch, als Turvi an Deck kroch. Wie gewöhnlich schleppte sich der Alte zum Mast, wo er sich am Fall hochzog. Dann schob er die Krücke unter seinen Arm und hinkte über das Deck. Bran winkte ihn zu sich, denn es war die Zeit des Tages, an der die Müdigkeit über Frauen und Männer kam. Sogar Hagdar und Dielan waren, ihre Familien um sich versammelt, an den Kornsäcken eingeschlafen, und Bran sollte noch lange am Ruder stehen, bis er von Dielan abgelöst wurde.
»Nur gut, dass dir dein Vater beigebracht hat, Schafsknochen zu schienen!« Turvi breitete hastig die Arme aus, als das Schiff in ein Wellental glitt. Als es auf die nächste emporkletterte, humpelte er weiter nach vorne.
Bran ließ das Ruder los und hastete zu ihm, und es gelang ihm gerade noch, ihn zu stützen, so dass er nicht zu Boden stürzte. Er geleitete ihn zum Ruder zurück und stützte den alten Mann gegen den Achtersteven. Turvi legte seine Hände auf das Ruder und lächelte zufrieden.
»Lass mich eine Weile steuern«, sagte er. »Es gibt einem Krüppel wie mir ein gutes Gefühl, Macht über ein Schiff wie dieses hier zu haben.«
Bran lehnte den Rücken gegen die Reling. Turvi klemmte seine Krücke unter seinem rechten Arm fest. Jedes Mal, wenn der Seegang das Schiff zur Steuerbordseite drückte, knirschte es in der Verschnürung der Krücke. Bran hatte zwei Stücke Treibholz um sie gewickelt, die er aus Tirga mitgenommen hatte. Er hatte die Krücke wie ein gebrochenes Bein geschient und sie mit den stärksten Sehnen, die er finden konnte, umwickelt.
»Wie lange warst du da drinnen?« Bran nickte zur Luke. Turvi blinzelte zum Bug. Bran wusste, dass er nicht gerne zugab, Hilfe zu brauchen. Doch als Eyna an jenem Morgen aufwachte und rief, dass sie ihren Mann nicht finden könne, hatten alle Angst, er könne an Deck geklettert und im Laufe der Nacht über Bord gegangen sein. Turvi saß still im Bugraum, während sie nach ihm riefen und suchten, bis Dielan schließlich den Vorhang zur Seite schlug und ihn in einem Berg von Pergamenten fand.
»Jede Welle bringt uns weiter nach Westen.« Turvi zog das Steuerruder zu sich herüber, als der Wind den Querbaum zur Seite drückte. »Ich frage mich, wie lange wir noch segeln müssen, ehe wir zu den Stürmen kommen.«
»Das weiß keiner.« Bran warf einen Blick zu dem anderen Langschiff hinüber. »Nicht einmal Nangor.«
»Und die Tirganer? Hast du mit Zwei Messer oder Storm darüber gesprochen?«
Bran stützte die Ellenbogen auf der Reling auf. Die zwei Brüder schliefen Rücken an Rücken im Bug, und der Weinschlauch neben Storms Füßen verriet, dass sie auch so bald nicht aufwachen würden. »Zwei Messer und Storm sondern sich ein bisschen ab«, erklärte er und gähnte.
»Und der Junge?« Turvi strich sich die Haare aus den Augen.
»Der Kriegszug im Winter war Virgas erster.« Bran suchte mit den Augen das Deck ab, doch Virga war nirgends zu sehen.
»Er ist unter Deck«, sagte Turvi. »Er sitzt an der Schmiedebank und putzt seine Brünne.«
Bran blickte auf die Decksplanken vor seinen Füßen. Jetzt, da Turvi es gesagt hatte, konnte er dort unten etwas hören. Der scharfe, kalte Laut von Sandstein auf Eisen verriet Bran, dass Virga inzwischen dazu übergegangen war, sein Schwert zu schleifen.
»Geh und ruh dich jetzt aus, ich übernehme den Rest von deiner Wache.«
Er wollte ihm widersprechen, denn es war schon anstrengend genug, auf zwei Beinen am Ruder zu stehen. Doch Turvi scheuchte ihn weg und wollte nichts davon hören.
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