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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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und steckte ihn in sein Hemd. Er atmete rasch und kroch unter das Talglicht, während er das Pergament entrollte. Das war eine Karte von der anderen Seite. Hier hatte er den Beweis für Brans Träume. Keiner sollte mehr zweifeln.
    Die Fischhaut war von all den Generationen, die sie überdauert hatte, rissig und trocken. Doch es waren Striche eingezeichnet, eine unebene Küstenlinie und Spitzen, die nichts anderes als ein Gebirge darstellen konnten. Unter dem Gebirge war eine Linie gemalt und Turvi glaubte, dass sie einen Fluss darstellte. An der Mündung des Flusses standen zwei Zeichen, doch es gelang ihm nicht, sie zu deuten. Die Küstenlinie schwang sich über der Flussmündung wieder ins Meer hinaus und oberhalb des Flusses waren viele Berggipfel eingezeichnet.
    »Berge und Täler«, flüsterte Turvi. »Und Bran träumte von einem Tal hinter einer Kette von Bergen.« Er drehte die Karte auf den Kopf. Es war nicht zu erkennen, wo Norden war oder ob die Karten, die er bereits kannte und verstand, sich irgendwo anfügten.
     
    Turvi zog alle Karten heran und während das Schiff krängte und in den Wellen auf und ab wogte, versuchte er vergebens, einen Ansatzpunkt der Karte auf der Fischhaut mit den anderen Karten zu finden. Erst als er die Männer gähnen hörte und den Rauch der Feuerstelle roch, schob er die Fischhaut wieder in das Astloch und sammelte die anderen Pergamente zusammen. Er wollte dieses Geheimnis vorerst für sich bewahren. Noch glaubten die Menschen an Bran, doch wenn erst die blutroten Wellen des Sturmrandes über das Deck spülten, würde dieser Glauben harten Prüfungen ausgesetzt sein. Und dann würde er die Karte hervorholen, damit Bran sie vor seinem Volk in die Höhe halten konnte, so dass aller Zweifel beseitigt sein würde.
     
    Für Bran vergingen die Tage auf See schnell. Er hatte sich danach gesehnt, den Meerwind in den Haaren zu spüren, und als der Ostwind nach den langen Regentagen erneut auffrischte, nahm das Schiff wieder die rauschende Fahrt über die Wellen auf. Er war allein an Deck, als der Wind aufkam, doch das Schiff war bereit, und so musste er bloß nach vorne laufen und die Schote anziehen, damit der Wind das durchnässte Segel straffen konnte.
    Fünf und zehn Tage waren vergangen, seit sie aus Tirga ausgelaufen waren, und schon lange sahen sie kein Land mehr im Süden. Des Nachts stand Nangor am Bug seines Langschiffes und streckte den Arm zu den Sternen aus, während er die Himmelsrichtung zwischen seinen Fingern bestimmte. Manchmal riefen sie sich kurze Mitteilungen über den Kurs oder die Strömungen zu. Und noch immer drückte der Wind sie nach Westen.
    In den letzten Tagen hatte Bran auch andere Männer ans Ruder gelassen. Er selbst war selten unter Deck, denn ihm gefiel es dort am besten, wo der Wind und das Meer mit ihm sprechen konnten. Wenn die Sonne hoch am Himmel stand und Männer und Frauen heraufkamen, um ihre Glieder zu strecken, trat er mit Tir in den Bug. Es gefiel ihr, dort vorne zu stehen und nichts als Meer und Himmel zu sehen. Er umarmte sie und verbarg ihre schmalen Hände in den seinen. Sie führte seine Hand über ihren dicken Bauch und manchmal konnte er dann spüren, wie das Kind darin strampelte. Dann legte er seinen Mund an ihren Hals, sog ihren warmen Duft ein und betete zu Cernunnos, es möge eine leichte Geburt werden.
    Dreimal hatte er am anderen Langschiff festgemacht, denn sein Volk war es nicht gewohnt, voneinander getrennt zu sein. Sie lehnten sich über die Reling, gähnten und sprachen über Wetter und Verpflegung, und einige der Männer kletterten auf das Schiff ihrer Freunde, um Decken zu tauschen oder sich Sehnenband zu leihen. Doch nachdem der Wind aufgekommen war, wollten weder Bran noch Nangor mit den Schiffen längsseits gehen. Die Wellen waren hoch und sie achteten genau darauf, dass sich die Schiffe nicht mehr als fünf Speerlängen näherten. Das Meer hatte begonnen, seine Kraft zu zeigen; es führte sie auf seinem unendlichen Rücken nach Westen und grummelte wie ein gereiztes, tückisches Wesen.
    Das Felsenvolk war mittlerweile mit dem Schiff vertraut, denn das gute Wetter der letzten Tage hatte sie an Deck getrieben, wo sie herumliefen und Seilschote und Fallen befühlten. Oft standen sie an der Reling, hielten sich die Hände über die Augen, um die Sonne abzuschirmen, und sahen zu dem anderen Langschiff hinüber. Die Frauen ruhten sich auf den Kornsäcken aus und erzählten den kleinen Kindern Geschichten aus vergangenen

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