Das Verheissene Land
Hagdar das Schiff steuerte und beide schwiegen, bis das erste Morgenlicht über den Achtersteven fiel. Da spürte Bran etwas, einen wechselnden Wind oder eine Strömung im Meer. Doch der Wind blies unverändert gleichmäßig und das Meer zeigte keine Streifen oder Schaumbahnen, wie sie bei einer Strömung entstanden wären.
»Spürst du das?« Bran legte seine Hände auf die Bronzeschilde.
»Ja«, sagte Hagdar und gähnte. »Es wird langsam hell. Wenn der Mast beginnt, einen Schatten zu werfen, rufe ich deinen Bruder. Er ist jetzt an der Reihe.«
Bran schloss die Augen. Das Zittern war jetzt in seinen Füßen. Als ob die Decksplanken zitterten und bebten.
»Du brauchst Schlaf«, sagte Hagdar. »Geh jetzt und leg dich hin. Ich werde Dielan bitten…«
»Das ist es nicht.« Bran beugte sich über die Reling. Es kam von dort unten. Da unten in der Tiefe des Meeres rührte sich etwas und durchbrach die Strömungen, die das Langschiff vorangetrieben hatten.
Hagdar zog die Augenbrauen zusammen und blickte auf das Deck zwischen seinen Füßen. »Ich… ich spüre auch etwas.« Er hielt sich mit beiden Händen am Achtersteven fest. »Halt dich an irgendetwas fest, Bran!«
Doch Bran gelang es nicht, sich von diesem Anblick loszureißen. Tief dort unten, wo das Sonnenlicht endete, sah er einen graugelben Schatten. Es sah aus wie ein umgedrehter Schiffsrumpf mit einem weißen Speer an der Spitze. Da wandte sich der Speer nach oben.
»Um Kraggs willen!« Hagdar riss ihn zurück, als das Horn die Wasseroberfläche durchbrach. Es schoss vor seinen Augen in die Höhe, ein riesiger, glänzender Knochenspeer. Der Stoß warf das Schiff auf die Seite. Bran spürte das Steuerruder im Rücken, ehe das Heck des Schiffes emporgehoben und er zum Mast geschleudert wurde. Er hob abwehrend die Hände, rollte zweimal herum und stieß mit der Stirn gegen eine Tonne.
Als er sich wieder aufrappelte, wurde die Luke aufgestoßen. Bran schrie, Frauen und Männer weinten und riefen Kragg an. Dielan und Gorm kletterten an Deck. Hagdar klammerte sich noch immer an den Achtersteven. Bran stützte sich auf die Tonne und stand auf. Weitere Menschen kletterten jetzt an Deck. Und sie alle sahen es. Das Schiff war von Walen umgeben, die ebenso lang waren wie das Schiff selbst, und aus ihren Oberkiefern ragten weiße Hörner heraus. Bran taumelte zur Reling. Zwei Speerlängen von der Schiffsflanke entfernt glänzte die bleiche Haut in dem schäumenden Wasser. Auch das andere Langschiff war umringt. Nangor sprang auf dem Deck herum und rief etwas. Bran hörte nicht, was er rief, denn die Wale pusteten ihre Wassersäulen in den Himmel und stießen sich mit ihren gewaltigen Finnen in den Wellen ab.
Hagdar schrie auf, als sich eine Walfinne um den Achtersteven legte und sich darum schloss. Wieder wurde das Schiff am Bug nach oben gedrückt und Hagdar stand am Achtersteven und brüllte wie verrückt.
»Wir müssen etwas tun, Bran!« Dielan zog ihn am Ärmel. »Wir müssen umkehren! Das sind die Untiere am Ende der Welt!«
Bran sah zu dem anderen Langschiff hinüber. Wenn jemand wusste, wie sie sich zu verhalten hatten, um zu überleben, dann war das Nangor. Doch der Seeräuber hatte sich wieder ans Steuerruder gestellt und versuchte, so gut es ging, um die graugelben Wale herumzusteuern.
Bran löste einen Speer von der Reling. Er wusste, dass es nicht ratsam war, solch große Tiere zu töten, aber er musste es versuchen. Er hob den Speer über den Kopf.
»Nein!« Turvi hängte sich an seinen Arm. »Du darfst ihn nicht töten!«
Bran ließ den Arm sinken. War der Einbeinige jetzt verrückt geworden? Turvi ließ ihn los und stürzte auf das Deck.
»Ich habe gehört…« Der Schiffsrumpf hob sich und Turvi rollte an den Mast. »Ich habe gehört, was die Fischer in Tirga gesagt haben. Das sind keine Untiere. Das sind Zahnwale. Die schwimmen jetzt im Frühling im Schwarm und suchen neue Jagdgebiete.«
»Aber sie versenken die Schiffe!« Dielan nahm Bran den Speer aus der Hand.
»Seht zu den Tirganern hinüber!« Turvi zog sich an der Reling hoch und deutete zu dem anderen Schiff. »Da drüben haben sie keine Bögen oder Speere in der Hand!« Er wandte sich wieder zum Deck. »Seht Zwei Messer und Storm! Die verstehen, dass das keine Untiere sind.«
Zwei Messer hielt sich am Fall fest und Storm beobachtete die Wale mit gerunzelter Stirn.
»Stimmt das, Storm?« Bran fing seinen Blick auf. »Oder sind diese Riesen gekommen, um uns zu versenken?«
Storm
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