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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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an ihre Mütter, obgleich sie schon längst neugierig auf das Leben sein sollten. Doch auch die Mütter sahen oft so aus, als würde es ihnen gefallen, ihre Kinder so lange wie möglich zu stillen. Keiner im Felsenvolkes zwang seine Kinder, vorzeitig erwachsen zu werden. Ihr Volk war nicht so wie das der Kretter, die von ihren Kindern, kaum dass diese laufen konnten, Erwachsenenarbeit verlangten. Es waren die Namenlosen, die darüber bestimmten, wann ein Kind sich in die Welt hinauswagen würde; es lag im Inneren von jedem Einzelnen. Und jetzt schien Konvai mit jedem Tag, der verging, größer zu werden, als habe er Eile, das Versäumte nachzuholen. Es musste die Sicherheit in Tirga gewesen sein, die ihm den Mut dafür gegeben hatte. Niemand hatte etwas über seine späte Entwicklung gesagt, weder im Lager im Norden noch zu einem späteren Zeitpunkt. Aber sie alle freuten sich darüber, dass es endlich so aussah, als würde er sich jetzt doch noch machen.
    Bran kratzte sich am Kopf. Manchmal hatte Dielan mit ihm über seine Sorgen gesprochen und gesagt, dass er Angst davor habe, Konvai könne nicht wie die anderen sein, doch Bran hatte ihm kaum zugehört. Seine Gedanken waren um andere Sachen gekreist: um die Reise in den Süden, den Krieg und die Verpflichtungen, die er seinem Volk gegenüber hatte. Vielleicht kamen diese Gedanken jetzt zu ihm, weil er selbst bald Vater werden würde. Vielleicht waren es seine eigenen Sorgen, die ihn Dielan plötzlich besser verstehen ließen, so dass er sich selbst darüber freute, Konvai über das Deck stapfen zu sehen.
    Tir kletterte durch die Luke. Er sah, wie sie sich abrackerte: sie hielt sich den Rücken und stützte sich an der Reling ab. Kianna folgte ihr mit zwei Schalen Grütze. Tir bekam eine davon und blickte essend über das Meer im Norden.
    »Es dauert nicht mehr lang.« Kianna kam zu ihm herüber und reichte ihm die andere Schale. Ihr rundes Gesicht war sonnenverbrannt und die Haut auf ihrer Nase begann sich zu schälen. Bran klemmte sich das Steuerruder unter den Arm und begann, die Grütze in seinen Mund zu schaufeln.
    »Das Kind hat sich gedreht.« Kianna fasste sich an den Bauch. »Jetzt liegt es mit dem Kopf nach unten.«
    Bran schluckte und legte den Löffel wieder in die Schale. »Den Kopf nach unten? Wird ihm da nicht schwindelig?«
    Kianna tätschelte seinen Arm. Sie hatte weiche, kurze Finger. »Wir wissen nicht, ob es ein Sohn oder eine Tochter wird. Aber wenn sich das Kind gedreht hat, dann dauert es nicht mehr lange bis zur Geburt. Das Kind kommt mit dem Kopf zuerst, verstehst du?«
    Bran aß weiter. Er verstand nicht. Dielan hatte gesagt, dass das Kind »da unten« rauskommt, doch Bran hatte niemals verstanden, wie er das meinte. Und er hatte nicht zu fragen gewagt.
     
    Die Sonne stieg, und es wurde der wärmste Tag seit dem vorigen Sommer. Die Männer spannten Decken zum Schutz gegen die Sonne auf, zogen ihre Hosen und Schuhe aus und dösten gemeinsam mit den Frauen und Kindern im Schatten. Bran spürte, wie ihm die Sonne auf den bloßen Rücken brannte, und er sehnte sich nach Wind. Er blickte aufs Meer hinaus und sah darin einen Krieger ohne Schwert, denn ohne Wind bedrohte es niemanden. Bran mochte es, so über die Wellen zu schauen. Das Meer ließ es zu, dass er sich von den Krallen in seinem Nacken wegträumte, fort von der Angst und den Zweifeln. Denn er zweifelte noch immer, und er hatte Angst vor dem, was sie im Westen erwartete. Und wenn diese Gedanken zu ihm kamen, war das Meer nicht mehr ruhig. Dann spürte er die starken Strömungen unter dem Schiffsrumpf und hörte die zahllosen Seufzer der Wellen. Und er dachte, dass es stimmte, was Nangor sagte: Das Meer wurde mächtiger, je weiter sie nach Westen kamen.
     
    Gegen Mittag steuerte Bran die Tigam zu Nangors Schiff hinüber. Nangor zeigte Bran seine Handballen und deutete damit an, dass sein Schiff bereit war, längsseits anzulegen. Die Männer legten Schlingen um die Steven und vertäuten die Schiffe aneinander. Viele Tage waren vergangen, seit sie zuletzt miteinander gesprochen hatten. Orm sprang auf das andere Schiff hinüber und umarmte Nosser. Die Frauen versammelten sich an den Relings, und die Kinder auf den zwei Schiffen winkten und riefen sich etwas zu. Bran ließ das Ruder los. So weit der Blick reichte, war das Meer ruhig und glatt und der Himmel wolkenlos. Nangor drehte die Handflächen nach oben. Bran hatte die Zeichen des Seeräubers inzwischen gelernt und nickte. Es gab

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