Das Verheissene Land
dem ewig währenden Winter, den sie vertrieben hatten. Er sagte, dass die Waldgeister zurück in den Wald müssten, in dem sie zu Hause seien. Doch Bran riss sich los und rannte weiter.
»Moosmänner! Ich will mit euch kommen!« Die Felsenbrücke lag schmal und glatt unter seinen Ledersohlen. Die Moosmänner waren schon weit entfernt und nur noch als kleine Punkte zu erkennen. Er schrie sich heiser, doch sie drehten sich nicht um. Dann war er unten bei den Schlitten und watete in den nassen Schnee hinaus. Mit jedem Schritt versank er tiefer im Schnee und schließlich robbte er sich mit Händen und Füßen vorwärts. Die Waldgeister waren längst verschwunden. Der Schnee begann sich um ihn herum zu bewegen, und er bekam Angst, denn er wusste plötzlich nicht mehr, wo er war. Er drehte sich um, doch die Berge waren verschwunden und es war auch kein Schnee, der ihn umgab, es waren Wellen. Sie hoben ihn auf ihre breiten Rücken und drückten ihn in Täler aus Wasser. Sie saugten alle Kraft aus ihm heraus und raunten ihm Todesbotschaften zu. Schließlich legte er sich nach hinten und starrte in den schwarzen Himmel empor. Und das Meer verschluckte ihn.
Bran wachte mit einem Ausruf des Entsetzens auf. Sein Herz hämmerte in der Brust. Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Er sah sich um. Das Schiff wogte im vertrauten Rhythmus. Riemen und Lederbeutel baumelten von den Decksplanken, und die Männer schnarchten.
Der Wind erstarb im Laufe der Nacht. Als Bran durch die Luke kletterte, flatterte das Segel unter dem knirschenden Querbaum und die Wellen hatten sich in eine lang gestreckte, glatte Dünung verwandelt. Hagdar schlief über dem Ruder, und die Sonne brannte auf das Deck herab.
Bran löste den Umhang und band sich sein Hemd um die Hüften. Nangors Schiff war jetzt nur wenige Schiffslängen entfernt, und Bran glaubte, dass der Seeräuber die ruhige See nutzen wolle, um heranzusteuern, so dass die Menschen miteinander reden konnten. Er schlenderte über das Deck und sog den müden Duft von sonnengewärmtem Meerwasser ein. Hagdar öffnete die Augen und blinzelte ihn unter seinem dichten Haarschopf hinweg an. Dann richtete er sich auf, streckte seine dicken Arme über den Kopf und gähnte.
»Es ist Morgen«, sagte Bran. »Und die Götter schenken uns gutes Wetter.«
Hagdar öffnete die Spange, die seinen Umhang vor dem Hals zusammenhielt. »Wenig Wind«, murmelte er. »Der ist abgeflaut, als der Mond zu sinken begann. Im Wasser ist Tang.«
Bran beugte sich über die Bronzeschilde. Dicke Tangschwaden trieben um das Schiff herum. Hagdar hob das Steuerruder aus dem Wasser und schlug es gegen den Rumpf, denn lange Tangarme hatten sich darum gewickelt.
»Du hättest das heute Nacht sehen sollen«, sagte Hagdar und gähnte erneut. »Dort unten war alles voll kleiner Fische. Die leuchteten wie Glühwürmchen.«
»Glühwürmchen? Im Wasser?« Bran kratzte sich an der Narbe der Pfeilwunde im Arm.
»Das stimmt schon, was ich sage. Freu dich doch, dass es nicht wieder die Zahnwale waren. Oder Seeungeheuer.«
Hagdar rollte seinen Umhang zusammen und trat zum Mast, wo er ihn wie ein Kissen unter seinen Kopf schob. Bran stellte sich ans Ruder. Kaer und Girwa kletterten durch die Luke nach oben, gefolgt von Turvi. Sie rieben sich die Augen und blinzelten in das scharfe Licht, und Turvi humpelte zur Reling. Der Einbeinige begann eine alte Jägerweise zu summen. Immer mehr Menschen kletterten an Deck, und der Rauch begann durch die Luke nach draußen zu quellen. Der warme Duft von gekochtem Korn breitete sich an Deck aus.
Nach einer Weile kamen die Frauen mit den Grützeschalen nach oben. Linvi weckte Hagdar, und die Kinder begannen, an Deck herumzuspringen. Nur Konvai klammerte sich an seine Mutter. Gwen wiegte ihn hin und her und Bran fand es erstaunlich, dass der Kleine nicht seekrank wurde. Aber vieles an Konvai war seltsam, dachte er. Der Junge war lange wie ein Säugling gewesen, obgleich er dafür längst zu alt war, und erst in diesem letzten Winter hatte er begonnen zu sprechen und zu laufen. Konvai hatte während vieler Monate, in denen er schon lange hätte entwöhnt sein sollen, Muttermilch gesaugt. Vielleicht waren es das Meer und die Furcht vor dem Unbekannten, die ihn so hatten werden lassen. Bran hatte so etwas früher schon einmal gesehen und es hieß, Kaer habe kaum ein Wort gesprochen, ehe er vier Winter alt war. So etwas konnte oft nach einer Schlacht oder Belagerung geschehen: die Kinder klammerten sich
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