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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Nacken schmerzte, als Vater zuschlug; dreimal mit der flachen Hand. Dann knurrte er, und erst als Bran den Stuhl unter dem schweren Körper knirschen hörte, wagte er es aufzublicken. Vater saß am Tisch und hatte seine großen Hände wie schwere Keulen in den Schoß gelegt. Dielan stand an der Tür. Tränen rannen über die runden Wangen seines Bruders und zeichneten weiße Spuren in die vom Ruß geschwärzte Haut.
    Da hörte er die Stimmen draußen auf dem Platz. Männer und Frauen gingen an der Hütte vorbei. Bran lauschte den Schritten und den gedämpften Stimmen. Die Menschen gingen in Richtung des Tores.
    Dann erklang der Ruf: »Die Waldgeister brechen auf!«
    Vater stand von seinem Stuhl auf, doch Bran war schneller. Gemeinsam mit Dielan riss er die Tür auf und rannte in den nassen Schnee hinaus. Die Erwachsenen hatten sich am Tor versammelt. Auch Mutter war dort. Der Vogelmann stand bei den Waldgeistern. Die kleinen Krieger bewegten ihre bärtigen Köpfe hin und her und schulterten ihre langen Speere. Der mit dem weißen Bart strich sich über seine Bartzöpfe, während er mit Noj sprach. Danach grüßte er den Häuptling mit offener Hand. Er winkte den anderen Waldgeistern zu, ihm zu folgen. Sie warfen sich ihre abgenutzten Umhänge um und wandten sich von den Menschen ab, und nur der Vogelmann begleitete sie durch das offene Tor.
    Bran fasste Dielan am Arm und zog ihn hinter sich her zu den Treppen. Als Dielan ihm nicht zu folgen wagte, ließ er ihn an der Felswand stehen und kletterte nach oben. Die Stufen reichten ihm bis zu den Knien, doch er wollte sehen, wie die Moosmänner davonzogen. Er kämpfte sich über die aus dem Fels gehauene Treppe nach oben. Vater hatte ihm verboten, in die Kalanen zu klettern, aber Vater war böse. Er hatte sein Lamm getötet, und Bran wollte nicht mehr auf ihn hören.
    Als er den Aussichtsraum erreichte, sah er zu den Hütten hinunter. Es war weit bis unten. Vater stand an Dielans Seite und brüllte. Ein Rabe schwebte über das Tal und flatterte über die zerklüfteten Klippen im Norden.
    Die Kalanen waren große Räume, die von Kalan, dem Häuptling, der das Felsenvolk in die Sicherheit der Felsenburg geführt hatte, aus den Felsen gehauen worden waren. Bran wusste das, denn das war Turvis Lieblingsgeschichte. Und in den Kalanen konnten die Menschen stehen und die Ebenen beobachten. Von hier aus konnten sie bis zum Meer blicken.
    Bran ging bis zur Kante vor. Unter ihm lag die Ebene. Sie war endlos und weiß, und so stellte er sich auch das Meer vor. Er sah hinunter. Es war endlos weit bis dort unten auf den Boden, weiter als er es erfassen konnte. Während er sich mit einer Hand an der Felswand festhielt, beugte er sich über den Abgrund und sah zur Felsenbrücke hinüber. Sie erhob sich wie ein Kamm aus der Ebene und auf ihrem Rücken verliefen die Schlittenspuren wie blaue Eiswülste im Schnee. Der Vogelmann und die Waldgeister waren klein wie Ameisen, als sie dort unten in die Ebene hinausgingen.
    »Geht nicht von uns, Moosmänner!« Er rief, so laut er konnte, doch seine Stimme war schwach, und sie hörten ihn nicht. Er sah, wie sich der Vogelmann von den kleinen Kriegern verabschiedete. Sie schoben ihre Rucksäckchen zurecht, legten sich die Speere über die Schultern und marschierten in die welligen Ebenen hinein.
    Er rannte zurück zur Treppe. Sie war schmal und eisig, doch er hielt sich an dem Seil fest, das an der Felswand entlanglief, und rutschte und stolperte nach unten. Als er dort ankam, trat sein Vater schwankend hinter dem Holzstapel hervor. Er hielt Dielan am Ohr fest. Dielan weinte.
     
    Das Schiff drehte unter einer Windböe etwas ab. Bran zuckte mit den Augenlidern, doch er wachte nicht auf. Die Erinnerungen lebten in ihm auf. Sie ließen die Schläge auf seinen Nacken einhageln und ihn Vaters grobe Stimme hören, während ihn dieser zurück in die Hütte zerrte. Bran rollte sich auf die Seite und suchte Schutz bei Tir unter der Decke. Er legte seine Hand über das vernarbte Ohr und atmete schwer, denn die Träume versuchten, ihn vor dem Bösen zu retten, indem sie ihm die Gestalt eines erwachsenen Mannes verliehen, dabei war er noch immer ein Kind. Er lief vor seinem Vater weg, er rannte über den Platz vor den Steinhütten, vorbei an den Schlitten am Stall, schob sich zwischen den Menschen hindurch und hastete durch das Tor. Dort stand der Vogelmann, der ihn am Arm fasste und ihm von der Wurzel erzählte, die die Waldgeister gefunden hatten, und von

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