Das Verheissene Land
gegen den Achtersteven gelehnt. Wenn die Wellen das Schiff emporhoben, konnte er weit entfernt in südlicher Richtung das braune Segel von Nangors Langschiff erkennen. Wenn Bran hin und wieder einen Blick über die Schulter warf, sah er Zeichen, die ihm sagten, dass der Sturmrand nicht mehr fern war. Vielleicht waren seine Sinne von den Wellen und der starken Strömung verwirrt, aber er hätte schwören können, dass das Meer begann, sich nach unten zu neigen. Es kam ihm vor, als würde es sich hinter dem Schiff heben, und schaute er nach vorn über die grauen Wellen vor dem Bug, schien die ganze Welt zum Horizont im Westen abzufallen.
Storm und Zwei Messer standen mit entblößten Oberkörpern eine Speerlänge von ihm entfernt an der Reling und spähten aufs Meer hinaus. Zwei Messer drehte sich zu Bran um. »Das Meer fließt auf den Rand der Welt zu«, sagte er. Storm nickte zustimmend.
Bran zog den Umhang über die Schultern. Er antwortete nicht. Was sollte er ihnen auch antworten? Sollte er ihnen vielleicht sagen, dass er seinen Entschluss bereute und am liebsten umkehren und nach Tirga zurückfahren würde? Dazu war es jetzt zu spät. Die Strömung und der Wind hatten die Schiffe ergriffen, und die beiden Brüder wussten ebenso gut wie er, dass sie bei diesem Seegang keine Chance hatten, die Schiffe zu wenden.
Als Storm und Zwei Messer zu den Wassertonnen schlenderten, um etwas zu trinken, richtete Bran seinen Blick nach oben. Er stand lange so da und spähte in den Himmel, aber es war, wie Hagdar sagte: nicht ein einziges weißes Kreuz war dort oben zu sehen. Sie waren jetzt so weit westlich, dass ihnen nicht einmal mehr die Seevögel folgten. Der Himmel war von Wolken bedeckt, und wenn er genau hinhörte, konnte er das Wispern der Namenlosen im Wind hören. Und er spürte eine Unruhe, als würde ihn jemand beobachten und jede seiner Bewegungen verfolgen. Aber das, was er spürte, war kein Verfolger. Es war das Meer.
Der Fahrtwind war günstig, und die Langschiffe legten eine lange Strecke Richtung Westen zurück. Wie weit, vermochte niemand zu sagen, da nirgends Land in Sicht war, an dem man die Entfernung hätte messen können. Bran ließ die anderen Männer abwechselnd das Steuerruder übernehmen, in der Hoffnung, dass es ihnen Mut machte, wenn sie das Schiff mit eigenen Händen lenkten. Er selbst stand die meiste Zeit am Bug und beobachtete den finsteren Himmel im Westen, während das Deck unter seinen Füßen auf und ab schwankte. Mit jedem Tag schien die Himmelskuppel sich mehr zu verdunkeln, und ganz weit draußen, am Rand des Meeres, schien sie im Wasser zu versinken.
Turvi war schweigsam und hielt sich die meiste Zeit abseits von den anderen. Bran hätte gern mit dem Einbeinigen geredet, ihm von seiner Furcht vor dem Unbekannten erzählt. Aber Turvi schien vollends von seinen Karten in Anspruch genommen zu sein. Und abends stand er meist an der Reling und hörte gar nicht wieder auf, sein weißhaariges Haupt zu schütteln. Bran war klar, dass es für Zweifel längst zu spät war, und er wünschte sich, Cernunnos möge noch einmal zu ihm sprechen und ihm den Weg durch die Stürme zeigen. Nachts schmiegte er sich eng an Tir und flüsterte ihr seine Gedanken in den Nacken. Aber Tir, die sonst immer ein offenes Ohr für ihn hatte, war erschöpft und schläfrig.
Sechs Tage nach dem Kampf mit Velar war Neumond. In dieser Nacht legte sich der Wind. Bran kletterte an Deck und stand an der Reling, bis der Morgen grau durch die zerstreuten Wolken zu schimmern begann. Dielan hatte die Nachtwache am Steuerruder übernommen, seine schmalen Schultern spannten sich bei jeder Welle, die das Schiff nach vorne trieb. Die zwei Brüder hatten nicht viele Worte gewechselt, aber als das Tageslicht sich über das Meer breitete, nickte Dielan in Richtung Luke und räusperte sich.
»Jetzt wird es nicht mehr lange dauern«, sagte er. »Bis zur Geburt, meine ich.«
Bran lächelte. Er war stolz auf Tir und das Kind, das sie erwartete. »Kianna glaubt, dass es ein Vollmondkind wird. Aber vielleicht kommt es ja auch früher.«
Dielan schob die Kapuze in den Nacken. »Habt ihr euch bereits für einen Namen entschieden?«
Bran sagte, dass sie schon darüber gesprochen hätten, aber dass sie beide warten wollten, bis das Kind geboren war. Dielan fragte weiter, ob Bran glaubte, dass es ein Sohn werden würde, wie Turvi meinte, aber darauf konnte Bran keine Antwort geben. Jedes Mal, wenn er das Kind vor sich sah, sah er
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