Das Verheissene Land
durch die Fahrwasser der Kretter und Tuurer. Turvi verlor viele Worte über die Zeit in Tirga und über Brans Beteiligung am Krieg gegen Vandar und Mansar. Und er erzählte ihnen von Tir, der Nichte des Skergs, die Bran aus den Fängen des Inselkönigs auf Aard rettete. Da senkte der große Fischmensch auf dem Thron den Kopf und hob als Geste des Respekts eine Hand in Brans Richtung.
»Und der Vogelmann, Karain«, sagte Turvi, »er sprach zu uns über euer Volk. Jetzt verstehe ich es so viel besser. Der Sturmrand war nie das Ende der Welt. Und das Volk von Kin war nicht bloß eine Sage, sondern Wahrheit. So erzähl mir und meinem Häuptling, warum ihr uns über die Schären geholfen und hierher gebracht habt. Denn wir sind euch dankbar.«
Bran hatte still dabeigestanden und abwechselnd den Verkrüppelten und den riesenhaften Fischmensch auf dem Thron betrachtet. Der Verkrüppelte neigte oft den Kopf zur Seite und fasste sich an die Stirn, als hätte er Schwierigkeiten zu verstehen, was Turvi sagte. Und der Häuptling saß regungslos da und umklammerte die Armlehne des Throns. Nur die geschlitzten Pupillen in seinen Augen verrieten, dass er lebte.
»Männer der Welt!« N’Gama richtete sich auf. »Ihr seid in ein Reich des Meeres gekommen. Wir sind das Volk, das wie die Seehunde lebt. Wir fangen Fische und Muscheln mit Netzen und jagen Haie und Kraken mit unseren Speeren. Hier draußen sind wir die Einzigen, die die Macht der Sonne und des Windes preisen. Hier sind wir das Volk Gottes, hier herrschen wir. Wir sind die Krieger der Welt westlich der Stürme.«
»Erzähl uns von euren Schiffen«, bat Turvi. »Woher kommen sie?«
Der Verkrüppelte warf einen raschen Blick zum Häuptling, ehe er wieder Bran und Turvi ansah. »Sie sind unsere Erinnerungen«, sagte er. »Wir holen sie aus der Tiefe, diese Erinnerungen an das Land unserer Vergangenheit. Die Ertrunkenen überlassen wir den Strömungen und beten für ihre Seelen, doch ihre Schiffe heben wir. Wir dichten sie mit Muscheln ab und schöpfen das Salzwasser aus ihnen heraus. Und sie geben uns unsere Heimstätten. Ich bin N’Gama, ›Der, der nicht stirbt‹, und der Einzige, der sich an die Zeit erinnert, in der mein Volk noch zu den Menschen gehörte. Doch diese Schiffe geben den zukünftigen Generationen greifbare Erinnerungen. Wie ein Götzenbild für die Völker der Ebene sind die Schiffe für uns. Wir verankern sie mit rostigen Ketten und halten sie am Leben, wie es unser Brauch ist.«
Bran zog Turvi wieder zurück auf die Haihaut. Wenn diese gebrochene Gestalt die Wahrheit sagte, war sie so alt wie die ältesten Sagen. Er erinnerte sich daran, dass Karain die Legende von den Kinlendern vorgetragen hatte, doch niemand wusste, wann die Verwandlung stattgefunden haben sollte, bloß, dass es viel mehr Menschenleben zurücklag, als Karain zählen konnte.
»Es ist bald eine Generation her, dass unsere Jäger zuletzt ein Schiff hierher gebracht haben. Nur noch die Ältesten von uns erinnern sich an euer Volk.«
Da wollte Bran nicht länger schweigen. »Wir hatten zwei Schiffe. Zwei Langschiffe segelten zum Sturmrand. Habt ihr das andere gesehen?«
N’Gama fauchte dem König etwas zu, der seine Krieger anbellte. Doch die Krieger blieben stumm.
»Niemand hat etwas gesehen«, sagte N’Gama. »Wir werden das Wrack an der Ostseite der Schären in den blutroten Strömungen suchen.« Er wandte sich an den König und flüsterte ihm etwas zu.
Bran kniff die Augen zusammen. All das hatte ihn vergessen lassen. Doch jetzt kamen die Sorgen wie eine kalte Windböe über ihn.
Da erhob sich der König von seinem Thron. Er bellte seinen Kriegern Befehle zu, die sofort aufstanden und ihre Speere nahmen. Wieder spürte Bran Gefahr, doch der Verkrüppelte legte seine Hand auf den Arm des großen Kinlenders. »Es wird noch genug Zeit zum Sprechen sein. Unser König…« Er sah zu dem riesenhaften Krieger empor. »Kroch ist müde von der nächtlichen Jagd und will schlafen. Die Krieger werden ins Reich der Haie im Osten abtauchen und nach dem Wrack suchen. Queya wird euch zurück zum Schiff begleiten.«
Der Kinlender mit der Haizahnkette trat vor und führte sie zur Stiege. Die Krieger des Königs standen bereits an der Reling, legten sich Messergürtel um und hängten sich Seilrollen über die Schultern. Als Bran sich hinhockte, damit Turvi die Arme um seine Schultern schlingen konnte, sprangen die Krieger ins Wasser. Queya tat es ihnen gleich, tauchte aber gleich wieder
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