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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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als Queya mit dem Speer in die Tiefe des Wassers unter dem Schiff deutete, entdeckte Bran den Schatten, der aus der unergründlichen Tiefe heraufglitt.
    »Karkoch«, sagte Queya. »Karkoch.«
    Bran starrte auf das enorme Tier hinunter. Noch nie zuvor hatte er einen derart riesigen Fisch gesehen. Er glitt über den felsigen Boden und durch den Tang in die flacheren Zonen. Dann machte der Raubfisch kehrt und schwamm unter das Floß, das über dem gräulichen Rücken wie das Rindenschiffchen eines Kindes aussah. Queya hob seinen Speer, schloss ein Auge und zielte. Da drehte sich der Hai auf die Seite, als wolle er dem Krieger seine Narben zeigen. Und als Queya den Speer schleuderte, schlug er mit dem Schwanz und verschwand wieder in der Tiefe.
    Die Kinlender blieben auf ihren Wachposten. Sie spähten über das Meer, und erst als die Konchylien dreimal unter dem windstillen Himmel seufzten, sprangen sie von den Relings nach unten und legten ihre Speere beiseite. Einige stürzten sich ins Wasser und sammelten weiter Muscheln ein. Bran starrte ungläubig auf die silbernen Körper und fragte sich, warum sie den Hai jetzt nicht mehr fürchteten. Er hatte gesehen, wie rasch er aus der Tiefe nach oben gekommen war, und begriff nicht, wie sie ihn aus den Türmen hatten kommen sehen können, ehe er unter dem Schiff aufgetaucht war. Doch wie immer sie es auch gemacht hatten, die Kinlender schienen ihn bereits vergessen zu haben.
    Bran ging mit Queya weiter. Der Kinlender führte ihn zurück über den Landgang und über sonnengebleichte Decks, vorbei an Muschelmauern, Fischgrätgestellen und getrockneten Flossen. Jetzt bemerkte Bran auch die Schnitzarbeiten an den Knochen, und als Queya ihn über einen weiteren Landgang, der mit Muscheln und Knochen bedeckt war, führte, blieb er stehen und strich mit den Fingern über die Schnitzereien. Zwischen den eingeritzten Fischen sah er Figuren, die wie Vögel aussahen, und vierbeinige Geschöpfe, die nichts anderes als Pferde darstellen konnten. Auch Bäume und Menschen waren dort auf den weißen Fischknochen zu erkennen. Fast schien es, als würden die Kinlender ihre Vergangenheit vermissen und als hätten sie diese Bilder in die gigantischen Haiknochen geritzt, um sich immer daran erinnern zu können.
    Bran war so in die Bilder vertieft, dass er Dielan erst bemerkte, als Queya fauchend stehen blieb. Da sah Bran von den Knochen auf. Dielan stand schweißgebadet vor ihm. Er stützte seine Hände auf die Knie und keuchte angestrengt.
    »Tir«, sagte er. »Sie…«
    Bran drängte sich zwischen ihm und Queya hindurch. Er wusste, was sein Bruder sagen wollte. All das Seltsame dieses Ortes – der riesenhafte König, die Konchylien und die Haie – hatte ihn vergessen lassen. Doch sie hatte die ganze Zeit über unter Deck gelegen und gewartet. Die ganze Zeit, während sich das Schiff durch die blutroten Wellen kämpfte. Und jetzt sollte es endlich geschehen.
    Er hastete über die Planken, sprang an Fischfrauen und Kriegern vorbei und kletterte auf den Landgang seines Schiffes. Hagdar öffnete die Luke, als Bran auf das Deck sprang. Turvi hinkte ihm entgegen, doch Bran hatte jetzt keine Worte für den Alten.
    Er kletterte die Treppe hinunter und trat in den Sandgang. Für ihn, der er so lange in der Sonne gewesen war, gab es unter Deck bloß ein einziges Schwarz. Er griff nach den Balken und tastete sich zum Bug vor. Um sich herum hörte er das Atmen von Frauen und Kindern. Er erkannte die Stimme von Kais Sohn, doch er sah ihn nicht. Dann schlug er sich den Kopf an einem Balken an und kniete nieder, als sich die Klauen hinter seinen Augen verkrampften. Langsam aber sicher wich das Dunkel von den Gesichtern und Balken, und er spürte eine Hand auf seinem Arm. Eine weiche Stimme bat ihn zu folgen, und während er sich an den Ruderbänken entlang tastete, gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel.
    Sie lag nicht auf ihrem Schlafplatz auf dem Sand, doch Gwen führte ihn zum Bugraum. Dort schlug sie die Decke zur Seite, die den Raum abtrennte. Tir lag auf dem Lager, das Kianna vorbereitet hatte. Kianna saß an ihrer Seite.
    »Tir?«
    Sie gab keine Antwort. Er stieg über den Querbalken und kniete vor ihr nieder.
    »Bran…« Sie atmete flach und angestrengt. Er beugte sich neben ihr hinunter und nahm ihre Hand. Sie war warm und schweißnass.
    »Es hat angefangen.« Kianna benetzte einen Lappen in einem Fass. »Tir hat zu bluten begonnen.«
    »Zu bluten?« Bran schüttelte den Kopf. »Sie darf nicht

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