Das Verhör
den Rücken. Was zählte da noch ein Streit?
Im Augenblick war Brad vermutlich der traurigste Mensch der Welt, wenn er daran dachte, wie mies er seine Schwester an ihrem Todestag behandelt hatte. An dem Tag, an dem sie ermordet wurde. Armer Brad, dachte Jason. Aber vor allem: Arme Alicia.
Diesmal versuchte er nicht, die Tränen zurückzuhalten. Aber es kamen keine Tränen. Seine Augen blieben trocken. Und das war schlimmer als weinen.
Alvin Dark sagte: »Was haben Sie?«
»Einen Tatverdächtigen«, sagte Braxton.
»Und was sonst noch?«
»Einen Senator, der mich auf die Palme bringt. Zeitungs- und Fernsehleute, die mir Fragen stellen, auf die ich keine Antwort habe. Ein Stadtviertel, das aufrüstet und fuchsteufelswild werden wird, wenn ich... wir... nicht bald mit Ergebnissen aufwarten.«
Der Bezirksstaatsanwalt trank seinen Kaffee und wirkte nicht sonderlich teilnahmsvoll. Eher entspannt und locker. Warum auch nicht? Immerhin hatte er es geschafft, das Polizeipräsidium zu verlassen und ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.
»Aber Sie haben einen Tatverdächtigen«, sagte Dark. Spöttisch? Höhnisch?
»Und ein Gefühl im Bauch.« Braxton war sich bewusst, dass eine solche Aussage vielleicht etwas erbärmlich wirkte, aber sein Bauchgefühl hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach bewährt. Und Alvin Dark wusste das auch.
Dark ließ jedoch nicht locker. »Bauchgefühle haben vor einer Jury keinen Bestand«, sagte er. »Und im Gerichtssaal auch nicht. Sie wissen genau, was wir brauchen.«
»Ganz recht«, sagte Braxton, kam sich dabei wie ein Schuljunge vor und empfand heftigen Groll darüber, dass Dark, zwei Jahre jünger als er, ihn zu einem Schuljungen machte. »Konkrete Sachbeweise.«
»Haben Sie denn gar nichts, was den Verdächtigen mit der Tat in Zusammenhang bringt?«, fragte Dark und setzte dann spöttisch hinzu: »Außer Ihrem Bauchgefühl?«
»Bauchgefühle haben in der Vergangenheit schon oft funktioniert. Die Beweise kamen später.«
»Aber können Sie es sich leisten, auf später zu warten?«
»Im Grunde brauchen wir ein Geständnis«, sagte Braxton, tastete sich vorsichtig heran.
»Von Ihrem Tatverdächtigen?« Wieder mit einem Hauch von Sarkasmus?
Jetzt wird's Zeit für den großen Schachzug, dachte Braxton. Auf geht's.
»Es gibt da einen Verhörspezialisten. Er heißt Trent und arbeitet von einer kleinen Dienststelle in Vermont aus. Hat einen beachtlichen Ruf. Es heißt, dass er selbst einem Stein ein Geständnis abpressen kann.«
»Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Dark. »Erzählen Sie mir mehr von ihm.«
»Er hält überall in der Weltgeschichte Seminare ab. Nimmt Anfragen aus dem ganzen Nordwesten entgegen. Er mag interessante Fälle. Sucht die Herausforderung.«
»Was lässt Sie darauf hoffen, dass er hierher kommen würde?«
»Senator Gibbons«, sagte Braxton. »Gibbons ist ein Mann, der für Zucht und Ordnung eintritt. Er ist einflussreich. Der Vorsitzende von wichtigen Komitees im Senat. Jemand, der einem zum Aufstieg verhelfen kann. Soviel ich gehört habe, ist Trent ehrgeizig. Ich glaube, wir können den Senator als Köder benutzen.«
Alvin Dark trank seinen Kaffee. In kleinen Schlucken. Langsam und bedächtig. »Es gefällt mir nicht, wenn Außenstehende mitmischen«, sagte er schließlich.
»Dieser Mann soll unheimlich gut sein«, sagte Braxton, spielte den Verkäufer, der einem Kunden etwas andrehen will. »Er gehört zu diesen neuen Verhörspezialisten, die dazu ausgebildet sind, Geständnisse zu entlocken. Bei ihm gibt es keine Fehlschläge.«
Dark schwieg und zog eine große Schau damit ab, seinen Kaffee auszutrinken und sich mit der Serviette die Lippen abzutupfen. Er schwenkte mit seinem Drehstuhl zum Fenster hin. »Irgendwo da draußen ist er. Ein Perverser, der ein Kind umgebracht hat. Ob es nun Ihr Tatverdächtiger war oder nicht. Mir macht es zu schaffen, dass dort draußen ein Mörder frei herumläuft.«
»Genau das macht auch mir zu schaffen«, sagte Braxton und hielt sich die Hand vor den Mund, um sein verzweifeltes Gähnen zu unterdrücken.
Alvin Dark trommelte mit den Fingerknöcheln auf die Schreibtischplatte. Er sah sich gern als Mann der Tat. »Okay, rufen Sie ihn an.« In einem Kommandoton, als wäre Braxton sein Handlanger.
»Schön«, sagte Braxton und überging das selbstherrliche Gehabe des Bezirksstaatsanwalts. Es ging darum, Trent herzuholen. Nur das war wichtig, nicht eine Egoschlacht mit Alvin Dark. Er
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