Das verletzte Gesicht
einzuziehen, bei uns. Wir haben ein freies Gästezimmer. Natürlich ist Michael Ihr
novio
, aber …“ Offenkundig wäre es Marta lieber, wenn sie ins Farmhaus zöge. „Ich denke Michael und Bobby könnten in der Blockhütte wohnen, no?“
„Nein!“ widersprach Michael entschieden. „Es ist sehr bequem für sie im Blockhaus, Mama.“ Er sah kurz zu Charlotte, die in ihrem Essen herumstocherte.
„Rosa blieb im Haus ihrer Eltern bis zu dem Tag, als wir sie Manuel übergaben“, erklärte Luis. „Auf den Stufen der Kirche!“ Er sah Rosa lobend an in offenkundigem Stolz auf ihre Tugend, als sei das ein Familienjuwel.
Rosa lächelte und warf Charlotte einen herausfordernden Blick zu.
Charlotte schluckte nur trocken, unfähig, sich zu verteidigen. Sie konnte unmöglich hervorheben, dass sie ein sehr anständiges Mädchen und Michael ihr erster Freund und Liebhaber war. Sie streifte ihn mit einem Seitenblick. Die Meinung seiner Eltern schien ihn nicht zu kümmern. Er sah sie aufmunternd mit einem Blick an, der besagte, sie solle sich nichts daraus machen.
„Wie bist du Schauspielerin geworden?“ fragte Maria Elena. „Ich will auch Schauspielerin werden, wenn ich groß bin.“
„Schsch, sie möchte nicht darüber reden“, wies Rosa ihre Tochter scharf zurecht. „Siehst du nicht, dass sie müde ist?“
„Es macht mir nichts aus“, widersprach Charlotte und lächelte das Kind an, dankbar für den Themenwechsel. Sie fühlte sich benommen, wollte aber das kleine Mädchen, das sie anhimmelte, nicht enttäuschen. In ihrem Metier geschah es nicht selten, dass Leute, die einen gewissen Ruhm erlangt hatten, all jene nicht mehr beachteten, die sie für unwichtig hielten. In ihren Augen war das ein schlimmer Charakterfehler.
„Es ging alles sehr schnell“, erklärte sie. „Ich wollte schon als Kind Schauspielerin werden, genau wie du. Als ich erwachsen war, kam ich nach Kalifornien und hatte sehr viel Glück. Und ich habe hart gearbeitet. Ich denke, das ist das Geheimnis, Maria Elena, sich etwas sehr wünschen und hart dafür arbeiten. Ich hoffe, du hast auch Glück.“
„Ich möchte nicht, dass meine Tochter Schauspielerin wird“, wandte Rosa ein. „Mir schwebt etwas Besseres für sie vor.“
Bobby führte soeben sein Wasserglas an den Mund, verharrte in der Bewegung und warf Rosa einen warnenden Blick zu.
„Meine Mutter wollte das auch nicht“, erwiderte Charlotte lächelnd. „Und das ist dabei herausgekommen.“
„Wo ist Ihre Mutter?“ fragte Luis gebieterisch, als verlange er eine Antwort.
„Sie lebt in Chicago.“
„Ah, Chicago. Und Ihr Vater, was macht der?“
„Er starb, als ich noch ein Kind war. Ich habe ihn nicht gekannt.“
Maria Elena seufzte mitfühlend.
„Ich hoffe, Ihre Mutter kennen zu lernen“, erklärte Marta ruhig. „Wo wird Hochzeit sein, hier oder in Chicago?“
„Eindeutig hier.“ Charlotte blickte auf ihre Hände. „Meine Mutter wird wahrscheinlich nicht zur Hochzeit kommen.“
Michael wandte sich ihr verblüfft zu.
„Sie wird nicht zur Hochzeit ihrer Tochter kommen?“ polterte Luis. So etwas war für ihn unvorstellbar.
Charlotte errötete und wollte keine neue Runde von Lügen einläuten, nicht bei ihrer zukünftigen Familie. „Meine Mutter ist mir böse, weil ich nach Kalifornien gegangen bin“, erklärte sie. „Sie war nicht einverstanden.“
„Sie ist nicht einverstanden mit meinem Miguel?“ donnerte Luis.
„O nein!“ korrigierte Charlotte rasch. Ihr wurde klar, dass er annahm, sie hätten sich bereits in Chicago kennen gelernt. In gewisser Weise stimmte das ja auch, aber das mochte sie jetzt nicht erläutern. „Meine Mutter ist Michael nie begegnet. Ich bin sicher, er würde ihr gefallen.“
Luis nickte beschwichtigt.
„Sie war nicht damit einverstanden, dass ich Schauspielerin wurde.“ Sie warf der aufmerksam lauschenden Rosa lächelnd einen Blick zu. „Sie hielt es für falsch, dass ich allein nach Kalifornien zog. Sie hat mir das nie verziehen und verweigert jeden Kontakt mit mir.“
„Virgencita!“
rief Marta entsetzt aus, die Hände an den Wangen. Es war klar, dass sie ihr Kind niemals so im Stich lassen würde, auch wenn sie zu höflich war, das jetzt zu betonen.
Seltsamerweise schien ihre kleine Tragödie das Eis bei den Mondragons zu brechen. Charlotte kam sich plötzlich wie ein ausgesetzter Welpe vor, der von einer freundlichen Familie aufgenommen wird.
Den Rest der Mahlzeit überstand sie einigermaßen gut. Sie reichte
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