Das verletzte Gesicht
den Geruch der Unterwürfigkeit hatte. Sie war ein Angstbeißer, der blindwütig attackierte, sobald er sich in die Enge getrieben fühlte.
Marta hingegen, flankiert von ihrem kraftvollen, bulligen Ehemann, den sie zweifellos verehrte, ihren zwei gut aussehenden Söhnen, der Tochter und den Enkelkindern, strotzte vor Selbstsicherheit. Sie konnte es sich leisten, Liebe und Herzlichkeit auszuteilen.
„Ich möchte euch etwas sagen“, erklärte Michael der versammelten Familie. „Ich habe noch nie eine Frau mit nach Hause gebracht, um sie euch offiziell vorzustellen. Bisher war mir keine wichtig genug, sie zu bitten, sich euren prüfenden Blicken zu stellen.“
Höfliches Gelächter. Alle waren gespannt und ahnten, wohin diese scherzhafte Einleitung führte. Charlotte blickte auf ihre Schuhspitzen und spürte ihre Wangen warm werden.
„Ich habe Charlotte gebeten, meine Frau zu werden, und darf mit Vergnügen verkünden, dass sie eingewilligt hat.“
Einen Moment Stille, dann Bobbys freudiger Ausruf. „Endlich! Endlich geht ihr an die Öffentlichkeit. Wird aber auch Zeit. Ich dachte schon, ich würde den Ring nie an deinem Finger sehen, Charlotte.“ Er blinzelte ihr zu. Offenbar hatte Michael ihm anvertraut, dass sie den Ring an der Kette um den Hals trug. „Mein Bruder ist deiner nicht würdig, aber da du dumm genug bist, in diese Familie einzuheiraten, komm her und lass dich von deinem Schwager anständig mexikanisch umarmen.“
Er umarmte sie stürmisch, tätschelte ihr den Rücken und schwang sie leicht hin und her. Bobbys Herzlichkeit versetzte sie geradezu in ein Hochgefühl. Die Kinder warteten ungeduldig tänzelnd, um ebenfalls umarmt zu werden. Zuerst Maria Elena, dann Cisco. Über deren Köpfe hinweg bemerkte sie jedoch die skeptischen und erstaunten Blicke, die Luis und Marta tauschten.
Luis trat vor, nahm ihre Hand zwischen seine großen, schwieligen Hände und gab ihr einen festen Kuss auf die Wange. „Willkommen in der Familie“, sagte er. Es waren die richtigen Worte, aber mit wenig Begeisterung gesprochen.
Charlotte zwang sich zu einem strahlenden Lächeln. „Danke.“
Marta beugte sich zu ihrem Sohn hinüber und fragte Michael leise etwas auf Spanisch, er antwortete ebenso leise. Möglicherweise wollte seine Mutter wissen, ob sie schwanger war. Dann kam Marta zögernd heran, küsste sie ebenfalls auf die Wange und wiederholte Luis’ Willkommensgruß. Trotz ihres Lächelns lag Besorgnis in ihrem Blick. Manuel kam näher, spitzte die trockenen Lippen und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Rosa blies empört die Wangen auf und verließ den Raum.
Charlotte ließ sich nicht anmerken, wie sehr der reservierte Empfang sie verletzte, und sagte sich, dass es nur natürlich war, wenn sie zögerlich auf jemanden reagierten, den Michael gerade erst mitgebracht hatte.
Die Spannung löste sich, sobald das Dinner serviert war. Charlotte saß zu ihrer Erleichterung zwischen Michael und Bobby, der offenbar zu den Menschen gehörte, die sich unbehaglich fühlten, nur schweigend dazusitzen. In Hollywood war ihr dieser Typus häufiger begegnet. Bobby gab sich Mühe, witzige Geschichten über ihre neue Familie zu erzählen, und brachte alle zum Lachen. Michael beugte sich häufiger zu ihr hinüber, tätschelte ihr das Bein oder zwinkerte ihr aufmunternd zu.
Als Ehrengast stand sie im Mittelpunkt, und alle Fragen und Erzählungen waren an sie gerichtet. Sie antwortete stets höflich und diplomatisch.
„Wann ist die Hochzeit?“ fragte Luis in seiner schroffen Art.
„Ich weiß nicht. Wir müssen noch …“
„Bald“, entschied Michael.
Charlotte sah ihn nur schweigend an.
„Heiratet ihr in der Kirche?“ fragte Marta.
Michael zuckte die Achseln. „Mir ist es egal, wo …“
„Sicher“, unterbrach Charlotte ihn. Sie fing Martas Blick auf und erkannte deren Zustimmung.
„Dann sind Sie Katholikin?“ fragte Luis.
„Ja, die Polen sind strenge Katholiken.“
„Das ist gut. Wenigstens ist sie Katholikin.“ Er nickte Marta zu, wie um zu sagen, vielleicht ist dann doch noch nicht alles verloren.
Marta nickte ebenfalls.
Charlotte zog fragend die Brauen hoch.
Michael verdrehte die Augen.
Charlotte begann sich leicht die Schläfen zu massieren und bemerkte, dass Michael es mit Sorge verfolgte. Da ihr die Finger zitterten, legte sie die Hände rasch auf den Schoß zurück.
„Sie wohnen also in der Blockhütte“, stellte Marta fest. „Vielleicht wäre es bequemer für Sie, hier
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