Das verletzte Gesicht
essen bestellt.“
„Essen? Aber du sagtest doch, wir würden zum Essen ausgehen.“
„Nein. Wir gehen zu einem Interview aus. Das Essen ist nebensächlich. Ich will nicht, dass du auch nur einen Gedanken daran verschwendest. Konzentriere dich auf die Beantwortung der Fragen, die man dir stellt, und spiel deine Rolle. Denk daran, gleichgültig, wo du auftrittst, du spielst immer eine Rolle.“
Freddy ging gewohnt lebhaft gestikulierend vor ihr auf und ab. Sie zog die Schuhe aus, da sie erkannte, dass jetzt eine seiner längeren Lektionen folgte, und lehnte sich gemütlich zurück.
„Ich werde daran denken, Freddy.“
„Wenn wir in einem Restaurant sind, nicht essen und schon gar nicht trinken. Schieb das Essen über den Teller und nasche ein wenig, wenn es nicht anders geht. Wenn du in einem Kreis von Frauen bist, iss keinesfalls. Mach ihnen Komplimente, sag ihnen, wie toll sie aussehen.“ Er zeigte mit dem Finger auf sie. „Und flirte niemals mit ihren Ehemännern. Glaube mir, es lohnt sich nicht.“
Charlotte hatte versonnen aus dem Fenster geblickt und drehte ihm das Gesicht zu. „Das ist alles so künstlich, so unnatürlich. Warum kann ich nicht einfach ich selbst sein?“
„Weil sie dich natürlich beneiden werden, mein Engel. Deshalb darfst du keine Feindseligkeit aufkommen lassen. Makellose Schönheit wie deine macht Frauen nervös.“
Sie nickte und trommelte sich gedankenverloren mit den Fingern auf die Lippen. Wenn Melanie Recht hatte, dass Schönheit Macht war in dieser Stadt, dann war sie besser auf der Hut. Sie hatte nicht schön sein wollen, um Macht auszuüben. Eigentlich wusste sie gar nicht, zu was die neue Schönheit sie qualifizierte. Alles war neu und anders, sie wurde bemerkt, sogar verehrt und war plötzlich jemand. Jedoch verschaffte ihr diese neue ungewohnte Verehrung weder Selbstsicherheit noch Genugtuung, vielmehr zog sie ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie hatte das Gefühl, ohne Anker dahinzutreiben.
Freddy war momentan ihr Halt. Deshalb versuchte sie genau zu beachten, was er riet.
„Als generelle Regel gilt: Halte Distanz zu den Leuten“, setzte er seine Ratschläge fort. „Halte dich an mich. Vertraue niemandem und schließ keine engen Freundschaften.“
„Was ist mit Melanie?“
„Melanie ist okay. Sie ist verschwiegen und kann dir bei kleineren Schwierigkeiten helfen. Aber bei Problemen und großen Entscheidungen kommst du zu mir.“
„Dir kann ich vertrauen?“
„Wenn nicht mir, wem dann?“
Damit hatte er Recht. „Okay, weiter. Aber zunächst mal, wann kommt das Essen? Ich bin am Verhungern.“
„Kommt sofort. Also, wo war ich? Ach ja, halte Distanz und nimm nicht aus jeder Ecke Hilfe an. Ich besorge dir, was du brauchst. Sei unabhängig. Sei emsig. Rollende Flusskiesel setzen kein Moos an. Wenn du eine Einladung erhältst, sag es mir. Ich rate dir, zu welchen Partys du gehen sollst und zu welchen nicht.“
Schaudernd dachte sie an frühere Partys, auf denen sie verspottet und gedemütigt worden war. „Versprich mir, dass du mich begleitest.“
Er drückte seine Zigarette aus, kam zu ihr und nahm ihre Hände. „Baby, Baby, du hast doch nicht etwa Angst, oder?“
Als sie ihn ansah, fühlte er sich durch ihre strahlend blauen Augen an die klaren Himmel seiner Kindheit erinnert, an unschuldige Spiele und vieles mehr.
Stirnrunzelnd fragte er sich, was los war mit ihm. War er besessen von diesem Mädchen? Und wenn schon. Er konnte es nicht ändern. Sie würden den eingeschlagenen Weg gemeinsam zu Ende gehen.
„Keine Sorge“, tröstete er, erstaunt über seine zärtlichen Gefühle. „Ich werde immer bei dir sein.“
Fünf Tage später saß Charlotte ruhig auf einem Hocker im hinteren Teil eines sehr großen Aufnahmestudios von Universal, um für den Film
American Homestead
vorzusprechen. Trotz Klimaanlage war ihr unter dem dickem Make-up und dem einengenden viktorianischen Kostüm sehr heiß. Mitten im Raum standen Scheinwerfer und Kameras. Dahinter schlängelten sich dicke Kabel wie Pythons. Von den meisten Ausrüstungsgegenständen kannte sie weder Namen noch Verwendungszweck.
Ganz im Gegensatz zu Freddy, der in der Mitte stand und sich angeregt mit dem Kameramann Josef Werner unterhielt. Vorhin hatte er sie mit ihm bekannt gemacht und ihr zugeflüstert, dass man den Kameramann immer auf seiner Seite haben sollte. Jetzt besprach er mit ihm den Aufnahmewinkel, damit sie ins beste Licht gerückt wurde.
Charlotte hatte feuchte Hände. Sie
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