Das verletzte Gesicht
Sie schürzte die vollen Lippen und sah sie forschend an. „Ich muss unbedingt Ihr Horoskop erstellen. Sie wissen schon, Zwillinge, Wassermann, Schütze, die Stellung von Mond und Planeten. Sterne lügen nie, im Gegensatz zu Männern“, fügte sie hinzu und bedachte Freddy mit einem viel sagenden Blick.
„Nun ja, ich kriege Hautkrebs hier in der Sonne“, entgegnete der. „Also, könntet ihr Mädels mit diesem Esoterikkram weitermachen, nachdem ich weg bin? Ich habe noch ein paar wichtige Telefonate zu erledigen.“ Er wandte sich an Charlotte und ignorierte die sichtlich gereizte Melanie. Sie schien für Freddy nicht mehr wichtig zu sein, ein Umstand, dessen sie sich wohl bewusst war. „Ich möchte einige Dinge für Sie ausloten, Charlotte. In einigen Tagen bin ich zurück und sage Ihnen Genaueres. Bis dahin wird Melanie Ihnen alles zeigen und Ihnen helfen, sich zurechtzufinden. Nicht wahr, Mel?“
„Sicher, Freddy.“
„Sie kommen groß raus, das verspreche ich Ihnen. Pass gut auf sie auf!“ rief er Melanie über die Schulter hinweg zu und marschierte zu seiner Luxuskarosse.
Melanie stieß kopfschüttelnd einen leisen Pfiff aus und betrachtete Charlotte mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid. „Junge, Junge, Mädel. Der alte Jagdhund hat seine Fährte aufgenommen.“
Charlotte konnte nur verständnislos müde blinzeln. Der lange Flug, die Aufregungen des Tages und die Stunden ohne Schlaf verlangten plötzlich ihren Tribut.
„Macht nichts, Kleine. Mit der Zeit wirst du schon kapieren. Komm herein, und mach es dir gemütlich.“ Sie trat beiseite und ließ Charlotte eintreten.
„Hier, die sind für dich.“ Charlotte übergab ihr im Vorbeigehen den kleinen Margaritenstrauß. „Ich konnte nicht viel ausgeben, aber ich wollte auch nicht mit leeren Händen kommen. Ich fürchte, sie sind schon ein wenig angewelkt.“
Melanie ging das Herz auf. Sie zupfte an den schlaffen Blättern. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Blumen geschenkt bekommen habe.“
Sie hielt sie an die Nase. Charlotte wusste, dass sie nicht dufteten, und wünschte, sie hätte sich Rosen leisten können.
„Weißt du, Charlotte Godfrey“, begann Melanie mit einem schwachen Lächeln, „ich glaube, wir kommen miteinander aus.“
7. KAPITEL
D ie Zeit verging wie im Flug. Frühling, Sommer, Herbst und Winter arbeitete Charlotte hart für Freddy Walen, um ihm ihre Hingabe zu beweisen. Jahrelang hatte sie Fehlschläge und Unzulänglichkeiten ihrer Hässlichkeit zugeschrieben. Das funktionierte nun nicht mehr. Wenn sie heute versagte, lag es an ihr, an mangelnden Fähigkeiten oder mangelnder Intelligenz.
Sie stand jeden Morgen um sechs auf, trank eine Tasse Kaffee und fuhr in ihrem Mietwagen zu verschiedenen Schauspiel-, Sprech- oder Modelkursen nach Los Angeles, dann zu Freddys Büro, oder, wenn sie Glück hatte, zu einem kurzen Schauspielauftritt. Auch Freddy arbeitete hart für sie. Sie gewann viel Erfahrung und wurde relativ bekannt, indem sie für kleine Gagen in kleinen Filmen mitwirkte, bei unabhängigen Filmemachern, in Low-Budget- und Dokumentarfilmen. Zudem sicherte er ihr Nebenrollen in zwei großen Spielfilmen. Sie verdiente genug, um ihre Rechnungen zu bezahlen, und konnte noch etwas auf die hohe Kante legen.
Ihre Freundschaft mit Melanie festigte sich von Tag zu Tag. Das erklärte jedoch nicht, warum sie lieber zu Hause blieb, anstatt auf Partys und in Bars zu gehen. Im Umgang mit Fremden, besonders mit Männern, war sie immer noch gehemmt, da vor gar nicht langer Zeit dieselben Männer vielleicht abfällige Bemerkungen über sie gemacht hätten. Allein zu sein war ihr angenehmer, damit kannte sie sich aus. Ein Zuhause, Bücher, Einsamkeit und ein Ziel vor Augen – das waren die vertrauten Freunde, die sie nach einem anstrengenden Tag brauchte.
Trotzdem dankte sie ihrem Schöpfer jeden Tag für ihre neue Freundin. Melanie war der Sonnenstrahl, der durch dunkle Wolken fiel. Sie lachte über ihre Witze, brachte ihr die neuesten Tanzschritte bei oder lackierte ihr die Nägel. Kurzum, sie half ihr in jeder Weise, in die neue Rolle zu schlüpfen.
Die Monate vergingen, und Charlotte konzentrierte sich auf ihre Ausbildung, um die körperliche und geistige Energie zu bekommen, die für die große Chance nötig war, die Freddy ihr in Aussicht stellte.
Nach zehn Monaten in Kalifornien landete Freddy den großen Coup.
„Es ist alles arrangiert“, erklärte er ihr aufgeregt am Telefon. „Eine
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