Das verletzte Gesicht
Armen und Beinen. Ein leichter Kopfschmerz begann in ihren Schläfen zu pochen. Einer von der Sorte, der dann tagelang nicht nachlässt. In letzter Zeit wurde sie häufiger von diesem seltsamen Schmerz geplagt. Ihr fehlten ihr Zuhause, Michael und die Ruhe, die sie in seinen Armen fand.
Hier hatte sie kaum einen Moment für sich. Ständig wurde sie von Assistenten umringt, die ihr Kostüm, Haare und Make-up richteten. Dann war da noch der schmalhüftige Junge, dessen einzige Aufgabe es war, dafür zu sorgen, dass sie genügend trank. Das war Freddys Anweisung, seit ihre Kopfschmerzen begonnen hatten.
„Also wirklich“, bemerkte der zwergenhafte Maskenbildner und tupfte noch mehr Puder auf ihren Arm, „das wird ein fürchterlicher Bluterguss. Kannst du nicht verlangen, dass sie dich wenigstens auf Gras fallen lassen? Bevor diese Tussi die Szene richtig hinkriegt, bist du schwarz und blau.“
Charlotte schloss die Augen und hatte Mitgefühl mit Melanie. Seit sie hier waren, beklagte sie sich über die Winzigkeit ihrer Rolle und dass sie nur in wenigen Szenen auftrat. Zugleich sparte sie nicht mit scharfzüngiger Kritik an ihr, weil ihre Rolle an Umfang zunahm.
Die Dreharbeiten für
Ein Tag im Herbst
neigten sich dem Ende zu, doch diese Szene war die schlimmste bisher. Melanie verpasste ihren Einsatz, stolperte und schwang Busen und Hinterteil wie eine Cancan-Tänzerin. Sie begriff einfach nicht, dass es sich um einen ernsthaften historischen Film handelte und diese Szene der tragische Höhepunkt einer ungleichen Liebe zwischen einem Studenten aus der Oberschicht und einem leidensfähigen Stubenmädchen war und nicht irgendeine Bettgeschichte.
„Ich glaube, sie schafft das nicht“, sagte George und kam mit der Mütze in der Hand zu ihr. „Ich weiß, sie ist deine Freundin, und Walen hat da irgendeinen Deal abgeschlossen, aber ich kann mir diesen Mist nicht leisten.“
„Gib ihr noch eine Chance“, bat Charlotte. Melanie brauchte diesen Film. Sie hatte seit über einem Jahr nicht gearbeitet.
Als Antwort warf George ihr einen hingebungsvollen Blick zu. Seit Beginn der Dreharbeiten versuchte er sie zu verführen. Um Melanies Willen kam sie näher und legte ihm vertraulich eine Hand auf die Brust. „Bitte, George, lass uns noch einen Versuch machen.“
Er beugte sich vor und legte seine Hand über ihre. „Du bist nicht zu müde?“
Sie schüttelte den Kopf und ignorierte die schmerzende Stelle am Bein, wo sie beim letzten Sturz aufgeschlagen war. Melanie hatte Recht: Schönheit war Macht. Und die Macht ihrer Schönheit verblüffte sie immer wieder. Sie lernte gerade erst, sie einzusetzen. „Es geht mir gut. Lass mir noch eine Minute, dann bin ich bereit, wieder zu sterben. Für dich.“
Er betrachtete sie verträumt. „Du bist erstaunlich, weißt du das? Nicht viele Schauspieler arbeiten von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends durch, ohne zu jammern.“ Er tätschelte ihr die Hand und sah sie so verliebt an, dass es schon peinlich war. „Wie wäre es mit Dinner, nachdem wir hier fertig sind? Du siehst aus, als könntest du ein gutes Steak vertragen.“
Die Assistenten, die sie umgaben, trollten sich und verdrehten die Augen.
„O George, nach den Dreharbeiten bin ich erledigt. Ich bestelle mir eine Suppe aus der Küche und falle ins Bett. Aber danke für die Einladung. Vielleicht morgen.“ Er versuchte nicht mal, seine Enttäuschung zu verbergen, und nickte nur knapp. In Hollywood waren die Egos zerbrechlich wie dünnes Glas.
„Fünf Minuten!“ rief er an alle gerichtet. „Ich möchte dieses Licht ausnutzen.“
Er stürmte an Melanie vorbei, die wegen der zu großen, aber flachen Schuhe, in die sie schlüpfen musste, schäumte.
„Er hasst mich“, jammerte sie und kam zu Charlotte.
„Nein, aber er verabscheut, wie du läufst, Mel.“ Sie berührte Melanie an der Schulter. Das Wollkostüm wärmte und kratzte, und Melanie schwitzte heftig. „Stell dir vor, du wärst ein Mann, wenn du läufst. Nimm die Schultern vor und wackele nicht so mit den Hüften.“
„Warum sollte ich das tun? Meine Art, mich zu bewegen, ist mein größter Vorzug.“
Charlotte presste die Finger auf die Lider, den Druck zu lindern, der sich dort aufbaute, und zerstörte ihren Lidstrich. „Weil du ein Hausmädchen aus dem neunzehnten Jahrhundert bist, das soeben gesehen hat, wie seine Freundin auf der Straße niedergeschossen wurde. Da ist man nicht aufreizend, sondern entsetzt. Und da läuft man wie eine
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