Das verletzte Gesicht
hellblondes Haar, das im Mondlicht fast weiß schimmerte. Die Gestalt war in fließenden schwarzen Stoff gehüllt, möglicherweise das Hausmädchenkostüm. Es umgab sie wie eine Decke, da sie es weit über die Knie hinabgezogen hatte. Auf einem Stück Treibholz kauernd starrte die Gestalt auf den Ozean hinaus.
„Melanie!“ rief Charlotte, stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte mit den Armen.
Melanie drehte den Kopf in ihre Richtung und stand langsam auf.
Unendlich erleichtert, sie gefunden zu haben, ging Charlotte schneller. Sie musste schleunigst mit Melanie reden.
Melanie wandte den Kopf ab und starrte wieder auf die See hinaus. Gemessenen Schrittes ging sie darauf zu und blieb nicht stehen, als das Wasser ihre nackten Füße umspülte. Wie jemand in tiefer Trance bewegte sie sich immer weiter vorwärts. Die Wellen erreichten ihre Schenkel und hoben den Saum ihres Kostüms an.
„Melanie!“ schrie Charlotte voller Panik.
Mein Gott, sie bleibt nicht stehen! Sie geht hinein!
Sie rannte los, den Blick auf Melanie geheftet, um in der Dunkelheit nicht ihr Ziel zu verfehlen.
„Ihr Name, Sir?“
„Michael Mondragon.“ Er stellte die Reisetasche ab, straffte die Schultern und sah sich in dem alten Hotel um. Er hätte nicht angenommen, dass Filmleute in solchen Absteigen hausten.
Der Empfangschef beäugte ihn argwöhnisch. „Tut mir Leid, Sir, aber das Hotel ist ausschließlich für Schauspieler und das Filmteam von
Ein Tag im Herbst
reserviert.“
Leicht stirnrunzelnd hörte Michael den Stolz des Mannes heraus, weil er, wenn auch auf dieser profanen Ebene, mit dem Film in Verbindung stand. Er erwiderte ungerührt: „Ich bin ein Freund von Miss Godfrey.“
Der Angestellte schmunzelte skeptisch. „Wiederum tut es mir Leid, Sir, aber ich kann Sie nicht aufnehmen, bis ich persönlich mit Miss Godfrey gesprochen und ihr Okay eingeholt habe.“
„Fein“, fiel Michael sofort ein, ehe der Mann ihm vorschlagen konnte, in ein anderes Hotel zu ziehen. „Können Sie mir sagen, wo sie ist?“
Das blasse Gesicht des Mannes rötete sich. „Es steht mir nicht zu, diese Auskunft zu erteilen.“
Dummer kleiner Kerl, dachte Michael. Er hasste solche Typen. „Verstehe“, erwiderte er monoton. „Übergeben Sie ihr freundlicherweise diese Mitteilung. Haben Sie eine Bar, in der ich warten kann?“
Der Empfangschef nahm die Botschaft unbewegt entgegen. Allmählich schien er zu befürchten, der Mann könne tatsächlich ein Freund von Miss Godfrey sein, den er vielleicht verärgert hatte. Er schwenkte um auf lächelnde Freundlichkeit, bot ihm an, die Reisetasche hinter dem Tresen zu verwahren, und geleitete ihn zur Bar, wo er ihm eine Marke für einen Gratisdrink gab.
Michael dankte ihm, warf einen Blick durch den rauchgeschwängerten Raum und wusste, dass ihm ein Spaziergang mehr brachte als ein Drink. Er steckte die Marke ein und verließ das Hotel durch die Hintertür.
Melanie ging weiter, obwohl das Wasser bereits Hüften und Taille umspülte. Charlottes Flehen ignorierend, bewegte sie sich weiter vorwärts. Charlotte sah, wie die Wellen sie anhoben. Eilig zog sie Schuhe und Pullover aus und warf sich in den eisigen Ozean. Die Kälte verschlug ihr für einen Moment den Atem. Dann kraulte sie in die Dunkelheit hinein, auf die im Wasser treibende Gestalt zu.
Sie erreichte Melanie, als deren Kopf gerade unter der Wasseroberfläche versank. Charlotte hielt die Luft an und tauchte. Mit einigen Beinstößen verlieh sie sich Geschwindigkeit. Dabei tastete sie mit den Händen in dem dunklen eisigen Wasser umher, um irgendetwas von Melanie zu erfassen. Ihre Lungen brannten bereits, und leichte Panik stieg in ihr auf. Es gab nur diese eine Chance für sie. In dieser Finsternis würde sie Melanie nie wieder finden. Bitte, Gott!
Plötzlich streifte ein Stück Wolle ihre Finger. Sie griff danach und hielt eine Hand voll Stoff fest. Sie zog, erwischte einen Arm und zerrte ihn samt Körper nach oben. Mit brennenden Lungen tauchte sie keuchend auf. Melanie neben ihr schlug hustend um sich und traf mit dem Handrücken ihren Kiefer. Ein heftiger Schmerz schoss Charlotte hinauf bis ins Hirn.
„Hör auf!“ schrie sie nach Atem ringend. „Ich bin es! Beruhige dich!“
Doch Melanie tobte wie eine wild gewordene Katze und schrie: „Nein, nein, nein!“
Charlotte spürte ihre Kräfte schwinden. Die Kälte betäubte sie bereits. Ihr Kiefer schmerzte. Sie hielt nicht mehr lange durch. Aber sie musste.
Michael schlug gegen
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