Das verletzte Gesicht
verlorene Sohn bringt Vater große Freude, no? Steht in Bibel, seht nach.“
Bobbys Augen glitzerten feucht. Und Luis, überwältigt von Neuigkeiten und Alkohol, schluchzte lächelnd.
Marta stand neben ihnen, nickte und schwieg. Tränen liefen ihr über die schmalen Wangen, als sie die Männer sich umarmen sah. Manuel trank sein Bier aus und knallte die Karten auf den Tisch. Rosa sah ihren Mann den Raum verlassen, warf das Küchentuch zu Boden und ging ebenfalls.
Michael folgte ihr in die Küche, wo sie ihren Mantel und die Spielsachen der Kinder holte.
„Du glaubst, du würdest wieder übergangen, nicht wahr?“
„Ich glaube es nicht, ich weiß es. Hier ändert sich nie etwas!“ Sie funkelte ihn zornig an. „In dieser Familie hat es immer nur zwei Kinder gegeben: Roberto und Miguel, die wertvollen Söhne. Ich wurde geboren, um Mama in der Küche zu helfen.“
„So ist das nicht.“
„Warum bleibst du?“ schrie sie voller Zorn und Kummer. „Du wolltest abreisen. Zwei Jahre hattest du gesagt. Du hast es versprochen! Was ist passiert, das zu ändern? Warum musst du bleiben und mein Leben und das von Manuel ruinieren?“
„Es gibt gewisse Umstände, das kannst du jetzt nicht verstehen. Aber ich verspreche dir, ich bleibe nicht, um dir oder Manuel zu schaden.“
„Was weißt du schon, was uns schadet?“ Sie wischte sich schniefend die Augen. „Fahr zur Hölle, Miguel! Und nimm Bobby und Papa mit. Lasst mich einfach in Frieden.“
„Rosa …“
„Ich sagte, lass mich in Ruhe!“ keifte sie und schlug ihm auf die Hand. „Sorge nur dafür, dass du die Lohnschecks rechtzeitig ausschreibst.“
Großer Gott, dachte er und wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. Was sind wir doch für eine große, glückliche Familie. Hände auf den Hüften, überlegte er weiter, dass er vorläufig in jedem Fall bleiben musste. Es gab einiges zu regeln. Dazu brauchte er Stärkung.
Seine Miene hellte sich auf, als ihm Bobbys Vorschlag einfiel. Ja, warum eigentlich nicht? Wenn ihm ein paar Monate Hölle bevorstanden, hatte er ein paar Tage Himmel verdient.
13. KAPITEL
C harlotte starb mehrmals an diesem Tag.
„Schnitt!“ Der Regisseur riss sich die Baseballkappe vom Lockenkopf und wischte sich mit dem Arm die Schweißperlen von der Stirn. „Gut, Charlotte, mach eine Pause. Wir versuchen es in einigen Minuten noch mal.“ Er sprach leise, als versuche er, einen Zornausbruch zu unterdrücken.
Dann ging er wie ein wütender Stier auf Melanie los, die nervös auf ihren hohen Hacken neben Charlotte auf und ab trippelte. Dank der ungewöhnlich warmen Oktobersonne schwitzten sie beide in ihren Hausmädchenuniformen des neunzehnten Jahrhunderts aus schwarzer Wolle und weißer Baumwolle.
„Melanie, du bist eine Idiotin!“ schnauzte er sie, für ihn untypisch, an. Normalerweise war George Berman ein freundlicher, angenehmer Regisseur, der seine Schauspieler ermutigte, ihren eigenen Weg durch die Szene zu finden. Melanie jedoch hatte seine Geduld mit ihrem täppischen Auftritt überstrapaziert. Seine und die aller Kameraleute, Schminkkünstler und Kostümdesigner, ganz zu schweigen von den Leuten für die Spezialeffekte.
Sie hatte nur eine sehr kleine Rolle mit ein paar Zeilen Text in einer früheren Szene und vier Zeilen in dieser Todesszene, doch das schien sie zu überfordern. Charlotte glaubte zwar nicht, dass George es Melanie einfacher machte, indem er sie nach der letzten geschmissenen Szene eine Idiotin schimpfte, aber sie konnte ihn verstehen. Melanie hatte nichts weiter zu tun, als zu ihr zu eilen, nachdem sie von ihrem Liebhaber niedergeschossen worden war, und sie zu halten, während sie anmutig ihr Leben aushauchte. In der letzten Stunde war sie bereits fünf Mal zu Boden gegangen. Bei den letzten drei Malen war dabei jeweils eine kleine Phiole mit Kunstblut aufgegangen und hatte ihr Kleid getränkt.
George rief die Kostümbildner herbei und zeigte auf Melanie. „Sie sieht wie eine kokette Nutte aus, wenn sie aus dem Haus rennt. Zieht ihr diese verdammten Schuhe aus. Was? Es ist mir egal, ob sie barfuß geht. Hindert sie nur daran, herumzuhopsen, als wäre das eine verdammte Tanznummer!“
Rot vor Scham, ließ Melanie sich von zwei Kostümassistenten fortführen und entschuldigte sich bei George, Charlotte und allen Anwesenden.
Charlotte begab sich seufzend in den Schatten eines alten, herbstlich leuchtenden Ahornbaumes. Gegen die raue Rinde gelehnt, rieb sie sich die neuen blauen Flecke auf
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