Das Verlies der Stuerme
dich in der Hand, nicht du uns.«
»Wenn ich sterbe«, sagte Ben mit aller Härte, zu der er trotz seiner Angst fähig war, »dann wird kein Hellwah die morgendlichen Gebete um Heilung mehr erhören. Das weiß ich, das wisst Ihr und das weiß der Abt; wenn auch niemand sonst.«
»Was meinst du …?«, setzte der Ritter an und erbleichte.
Anscheinend hatte er über die ganze Situation weniger nachgedacht als Akse.
»Habt Ihr verstanden?«
Der Ritter nickte und musterte Ben voller Angst und Verwirrung. Er räusperte sich und sagte, er werde es dem Abt ausrichten. Dann stiefelte er davon.
Schon kurz darauf war er zurück und berichtete, der Abt sei bereit, mit Ben zu reden. Aber er käme sicher nicht hier herunter und Ben nicht bei Tageslicht hinauf. Ben werde bei Anbruch der Nacht abgeholt, die Urteilsverkündung sei erst einmal aufgeschoben. Ben solle sich aber sehr gut überlegen, was er zu sagen habe, ein Hoher Abt lasse sich nicht ungestraft erpressen.
Bis weit nach Sonnenuntergang lief Ben in seiner Zelle auf und ab wie ein wildes Tier. Jetzt gab es kein Zurück mehr, er hatte den Abt herausgefordert.
Als es dunkel wurde, war er aufgedreht und übernächtigt, und er spürte, wie die unterdrückte Furcht an ihm rüttelte.
Herr Rotheisen brachte ihm einen langen dunklen Kapuzenmantel und befahl ihm, ihn überzuziehen. Dann führte er ihn aus dem Kerker. Im Vorbeigehen warf Ben einen Blick auf Akse, der auf seiner Pritsche kauerte und mit leerem Blick zum Fenster hinaufstarrte. Ben schwor sich, ihn zu retten.
Der Abt empfing ihn nicht in seinen üblichen Räumlichkeiten, sondern in einem kleinen, spärlich eingerichteten Hinterzimmer, um ihm zu zeigen, dass er keinerlei Respekt verdiente. Doch Ben wollte keinen Respekt von ihm. Dass der Abt nicht lächelte, war ihm genug.
»Ich glaube, wir müssen etwas Grundlegendes klären«, sagte der Abt kalt und ohne Umschweife.
Außer ihnen und Herrn Rotheisen befand sich niemand im Zimmer, was Ben aufatmen ließ. Der Abt verzichtete auf eine angemessene Leibwache, nicht einmal Herr Sieghold war anwesend. Er wollte wirklich nicht, dass irgendwer etwas erfuhr, und das hieß, er war verwundbar.
»Das müssen wir«, entgegnete Ben nicht weniger kalt.
»Nur erklär mir zuerst, was dich an diesem Knappen interessiert. Woher kennst du ihn?« Lauernd blickte der Abt ihn an.
»Ich kenne ihn überhaupt nicht. Aber aus all dem Geschrei im Hof und Kerker habe ich entnommen, dass er einen Drachen freigelassen hat. Ihr wisst, wie ich zu Drachen stehe, da kann ich nicht zulassen, dass er hingerichtet wird. Für eine solche Tat sollte niemand bestraft werden.«
Khelchos nickte kaum merklich und starrte ihm kalt in die Augen. »Und ich kann nicht zulassen, dass mir jemand in meinem Kloster Befehle erteilt. Schon gar nicht ein gesichtsloser Gefangener.«
»Denkt an die Morgenandacht.«
»Das tue ich.« Jetzt zeigte sich doch ein Lächeln auf seinen Lippen, ein ausgesprochen freudloses. »Mich wundert nur, dass du an so etwas denkst. Offenbar habe ich dich unterschätzt. «
Ben lächelte und schwieg.
»Sei dir sicher, das passiert mir nicht noch mal.« Der Abt wandte sich ab und trat an das geschlossene Fenster zum Innenhof. »Dieses eine Mal will ich deiner Forderung nachkommen. Solltest du es jedoch je wieder wagen, mir eine solche Nachricht zu schicken, lasse ich dir beide Beine brechen
und dich fortan zu den Drachen tragen. Zum Heilen brauchst du sie nicht. Haben wir uns verstanden?« Er drehte sich um, in seinen Augen stand Hass.
Nach kurzem Zögern nickte Ben. Er würde sich jetzt nicht auf einen Machtkampf einlassen, nicht wenn es derart in dem Abt brodelte. Sollte dieser ihm irgendwann wirklich die Beine brechen wollen, konnte er ihn erneut an die Bedeutung der Morgenandacht erinnern.
»Glaub es mir, Junge«, sagte Khelchos mit gefährlich leiser Stimme. »Wenn du das noch einmal versuchst, dann finde ich einen Sündenbock dafür, dass Hellwahs Segen für die Drachen ausbleibt. Und dieser Sündenbock werde nicht ich sein, und er wird furchtbar leiden.«
Ben schluckte und begriff, dass er den Abt überrascht hatte, und dass dies alles war, was ihn davor bewahrte, schon jetzt verkrüppelt zu werden. Noch benötigte der Abt seine Heilkräfte, doch das kalte Glitzern in den Augen verkündete, dass er sich furchtbar rächen würde. Nicht jetzt sofort, sondern geplant und sehr, sehr ausdauernd. Ben hatte Akse gerettet, doch lange würde er sich darüber nicht freuen
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