Das Verlies der Stuerme
dahin, Bens Kopf ausgefüllt mit grausamen Bildern von riesigen Äxten und blitzenden Schwertern, die auf Akses Arm niederrasten.
Wenn der Abt gnädig gestimmt ist.
Das Wimmern füllte den Gang aus, bis irgendwer rief: »Halt’s Maul, Jammerlappen.«
Ben wusste nicht, ob es ein Ritter oder ein anderer Gefangener gewesen war, doch langsam erstarb das Wimmern.
Ben wippte vor und zurück. Sie würden ihm die Hand abschlagen, weil er Ben geglaubt hatte. Weil er zugehört und beschlossen hatte, Bens Freund zu sein. Hätte Ben doch einfach den Mund gehalten, dann würde Akse jetzt bestimmt irgendwo den Boden fegen oder vielleicht auch etwas ausmisten, aber nicht seine Hand verlieren. Was hatte dem armen Kerl die Wahrheit geholfen, die Ben ihm gebracht hatte?
Ben fühlte sich schuldig und allein.
Was nutzte dem Knappen die Wahrheit jetzt? Warum hatte er sie nicht ignorieren können, wie all die anderen aus dem Orden?
»Schwachkopf«, murmelte Ben zu sich selbst, so leise, dass ihn niemand hörte. Hilflos umklammerte er seine Beine und starrte ins Nichts. Dass ein Drache mit nachwachsenden Flügeln entkommen war, änderte an Bens Laune nichts. Der getrocknete Schweiß und Schmutz unter der Maske juckten.
Sehr viel später wurde die Tür zum Zellentrakt erneut aufgestoßen, und der Kerkermeister brachte allen Essen. Unweit von Bens Zelle blieb er länger stehen.
»Junge, es sieht nicht gut aus für dich. Der Abt hat keinen gnädigen Tag heute, Laubjäger ist unauffindbar, und in Rhaconia wird gemurrt, seit die Hinrichtung ausgefallen ist. Es wird gemunkelt, der Abt habe den Landstrich nicht mehr im Griff, seit sich geflügelte Drachen hier herumtreiben. Das darf er nicht auf sich sitzen lassen. Ich befürchte, er kann dich nicht einfach so mit dem Verlust der Hand davonkommen lassen.«
»Nein, bitte nicht!«, stöhnte Akse.
»Er hat dir einfach zu viel durchgehen lassen.« Der Bruder Kerkermeister klang bedauernd, wahrscheinlich kannte er Akse dank seiner häufigen Strafarbeiten so gut wie keinen anderen Knappen. »Diesmal muss er hart sein. Ich sag es dir besser gleich, damit du bei der Urteilsverkündung stark sein kannst. Diesmal wirst du hängen.«
Hängen? Entsetzt sprang Ben auf. Wie konnten sie ihn hängen? Sein Bauch verkrampfte sich. Er hatte ihn in den Tod geschickt, er allein. Das durfte nicht sein! Er musste etwas dagegen tun. Nur was? Er war doch selbst ein wertloser Gefangener.
»Kerkermeister!« Er hatte geschrien, bevor er nachgedacht hatte.
»Was willst du?«, gab der unwirsch zurück.
»Ich muss mit dem Abt reden. Sofort!«
»Du musst?« Der Kerkermeister lachte auf. »Sollte der Abt je gewusst haben, dass du existierst, dann hat er es längst vergessen.«
»Ach ja?« Wütend spuckte Ben aus, wollte schon eine Beleidigung brüllen, doch dann riss er sich zusammen. Beleidigungen halfen Akse nicht weiter. »Dann eben mit Herrn Rotheisen!«
»Ach ja?« Mit schweren Schritten kam der Kerkermeister zu ihm herüber und baute sich vor seiner Zelle auf. »Was gibt es denn so Wichtiges, dass der hohe Herr Maskenjunge einen Ritter zu sich bitten lässt?«
Ben trat an die Gitter heran und sagte mit leiser, kalter Stimme: »Das kann ich nur Herrn Rotheisen oder dem Abt sagen. Und glaubt mir, es ist sehr viel wichtiger, als Ihr denkt.«
»Von einem Gefangenen nehme ich keine Befehle entgegen.
« Doch dem Gesicht des Kerkermeisters war anzusehen, dass er um Bens Bedeutung wusste. »Aber ich werde mich bei Herrn Rotheisen beschweren, dass sich der Junge in der Maske unverschämt verhält.«
»Gut«, knurrte Ben.
Viel schneller als erwartet stand der Ritter vor seiner Zelle. Viel zu schnell, als dass Ben über das hatte nachdenken können, was er vorhatte. Inständig hoffte er, dass er jetzt keinen Fehler machte, dass er Akse richtig einschätzte und vor allem der den Abt. Aber er konnte nicht zulassen, dass der Junge gehenkt wurde.
»Was gibt’s?«, fragte Herr Rotheisen. Er stand direkt vor Bens Tür und sprach so leise, dass ihn sonst niemand hören konnte.
»Ich will nicht, dass dieser Knappe gehenkt wird«, gab Ben ebenso leise zurück.
»Ach ja? Und du denkst, du könntest mal eben die Rechtsprechung übernehmen?«
»Das hat nichts mit Recht zu tun. Sagt dem Abt, ich werde aufhören zu heilen, wenn er ihn nicht freilässt.«
»Soll das etwa eine Drohung sein?« Verblüfft starrte der Ritter ihn an. »Wenn du nicht heilst, stirbst du. Was sollte das irgendwen sonst kümmern? Wir haben
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