Das Verlies der Stuerme
man den direkten Weg wählen.«
Grimmig erhoben sie sich wieder in die Luft und flogen mit je hundert Schritt Abstand zwischen sich und im Zickzackkurs Richtung Norden, den Blick stur auf den Boden gerichtet. Zur Not würden sie die ganze Gegend absuchen – ein Drache ohne Flügel und Menschen zu Fuß konnten nicht allzu weit sein.
Drei Stunden später deutete Juri nach unten auf eine Ruine, die sie an anderen Tagen nicht beachtet hätten.
»Runter«, schrie Yanko.
Aber der Drache stieg rasch höher. »Sie dürfen uns nicht sehen«
Schon bald waren sie so hoch, dass Yanko alles nur noch undeutlich erkennen konnte, aber Marmaran, der wie Feuerschuppe zu ihnen aufgeschlossen hatte, berichtete ihnen, was dort unten geschah.
Es handelte sich um eine Ruine, wie sie zu Hunderten im Großtirdischen Reich existierten, und noch nicht einmal die einer richtigen Burg, sondern nur um die verlassenen Überreste eines großen, ehemaligen Wehrhofs eines Landadligen. Die hohe Außenmauer aus Granit bröckelte an mancher Stelle, stand aber noch immer massiv, ebenso wie drei der vier lang gezogenen Gebäude. Im Innenhof und auf den Mauern befand sich ein gutes Dutzend schwer bewaffneter Männer in dunklen Rüstungen und schwarzen, wappenlosen Tuniken, die einen äußerst wachsamen Eindruck machten. Vier weitere Männer führten zwei flügellose Drachen an einer Leine umher, einen sandfarbenen in Feuerschuppes Größe und Aiphyron.
Aiphyron gab sich zahm und geduldig und trottete ohne Widerstand im Kreis, als erst ein dicker, wohlhabend gekleideter Mann auf ihm ritt und anschließend ein zehnjähriges Mädchen auf seinen Rücken kletterte und ihn am Ohr zog.
»Wir müssen ihn da rausholen«, knurrte Yanko. Er konnte kaum fassen, dass sie Aiphyron gefunden hatten. »Und zwar sofort!«
»Nein«, widersprach Nica. »Wir wissen nicht, wie viele weitere Drachen noch in den Ställen warten. Und Aiphyron gehorcht diesen Kerlen, er wird uns angreifen.«
Yanko fluchte. Aiphyron dort unten zu wissen und nichts tun zu können, war unerträglich.
»Jetzt steigen sie auf den anderen Drachen«, berichtete Marmaran. Was sollte das? Konnte man hier etwa Drachenreiten lernen? Tief im Wald versteckt und unter Aufsicht von zahlreichen Schwarzgekleideten erschien das unwahrscheinlich. Nirgendwo war ein richtiger Ritter zu erkennen.
»Vielleicht sind es Geheimritter für die dunklen Aufträge des Ordens«, entfuhr es Byasso. »Solche, die unliebsame Adlige in Nachbarreichen ermorden. Und allzu einflussreiche Ketzer.«
»Unsinn! Das gibt es nicht. Und was will dann das kleine Mädchen dort?«
»Vielleicht ist sie die Tochter des Anführers und hat Geburtstag? «
»Wer sie auch ist, sie hat einen schlechten Geschmack«, sagte Marmaran. »Sie tätschelt dem kleinen Drachen die Schnauze, und Aiphyron wird wieder in den Stall geführt.«
»Blödes Gör«, schimpfte Yanko. »Was machen wir jetzt?«
»Einer muss hierbleiben und weiter beobachten, was mit Aiphyron geschieht.« Nica klang nachdrücklich. »Vielleicht ergibt sich ja doch eine Gelegenheit, ihn irgendwie herauszuholen. Aber die dort unten müssen über mindestens eine Blausilberklinge verfügen und haben Aiphyron und den anderen besiegt. Wir können da nicht einfach so einfallen.«
So sehr sie es hassten, Nica hatte recht. Ohne Verluste würden sie einen Kampf nicht überstehen, und gewinnen konnten sie rein gar nichts. Selbst Yanko wollte nicht, dass jemand für nichts weiter als Rache starb.
»Und jetzt sieht die Kleine den dicken Mann an und deutet dauernd auf den Drachen. Sie scheint zu betteln«, fuhr Marmaran fort. »Auch wenn es unsinnig klingt, es wirkt, als
würde sie den Drachen kaufen wollen. Hier wird mit Drachen gehandelt!«
»Drachen werden von Rittern verliehen«, wandte Yanko ein. »Sie werden nicht verkauft. Das ist eine Zeremonie mit viel Aufwand und großen Worten.«
»Aber diese hier nicht, darum die abgeschiedene Lage und die Heimlichtuerei!«, rief Nica. »Marmaran hat recht, das ist ein Schwarzmarkt für Drachen. Für all die Wohlhabenden, die keinen Drachen verliehen bekommen haben, oder ihrem Empfinden nach zu wenige. Doch hier können sie weitere erstehen. Von Rittern, die plötzlich mehr besitzen wollen als nur Schwert, Rüstung und einen Raum in einem Kloster.«
»Was sind das für Ritter?« Verwirrt schüttelte Yanko den Kopf.
»Vielleicht liegt es an der Nähe zu Rhaconia. Wir wissen doch, dass hier selbst die Töchter verschachert werden. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher