Das Verlies der Stuerme
fangen.«
Aiphyron nickte und wünschte Ben viel Spaß. Dann warfen sich Ben, Finta und Nesto ins Meer, tauchten unter, spritzten sich gegenseitig nass und zogen sich zurück an Land, wo Finta und Nesto ihre Haare zerwühlten, damit sie einigermaßen wie Schiffbrüchige aussahen. Bens waren dafür zu kurz. Er rollte seine Hosenbeine und Hemdsärmel bis zu den Handgelenken und Knöcheln herunter, wie es sich für einen anständigen jungen Mann gehörte. Einen kurzen Moment dachte er sogar daran, seine Hose zu zerreißen, weil das dramatischer aussehen würde, doch dann ließ er es sein; das erinnerte zu sehr an die Beschreibung seiner mehrfach geflickten Hose auf dem Steckbrief, und den wollte er niemandem ins Gedächtnis rufen.
Für einen kurzen Moment dachte er daran, dass Finta ihn verraten könnte; er war verschuldet und brauchte dringend Geld. Doch mit einem Kopfschütteln verwarf er den Gedanken sofort wieder. Sie hatten ihm das Leben gerettet, weshalb sollte er es also tun? Außerdem hätte er dann doch bestimmt darauf gedrängt, dass auch Yanko und Nica ihn begleiten würden, schließlich brachten sie nur zu dritt die volle Belohnung von tausend Gulden. Und egal, wie viel Geld das war, zwei neue Schiffe voll exotischer Waren konnte man sich damit nicht leisten.
Der durchnässte Finta drängte munter zum Aufbruch, und Ben verfluchte sein dämliches Misstrauen.
»Was wollt ihr?«, begrüßte sie ein mürrischer Stadtwächter, doch als Finta ins Licht trat, änderte sich sein Tonfall schlagartig. Er bellte seine Kameraden an, schleunigst das Tor zu öffnen, und fragte mit unterwürfiger Besorgnis: »Was ist geschehen, Herr Dogha? Weshalb landet Ihr nicht im Hafen an?«
»Ein Sturm«, keuchte der Händler, wischte sich das kaum noch feuchte Haar aus der Stirn und erzählte knapp, wie seine zwei Schiffe von einer gigantischen Welle erfasst und zerschmettert worden waren. Bewundernd beobachtete Ben, wie geschickt er den Erschöpften und Verzweifelten spielte, bis ihm bewusst wurde, dass dies nicht viel Talent erforderte, schließlich war ihm dies alles zugestoßen. Er musste einfach erschöpft und verzweifelt sein. Wie er sich auf der Insel den ganzen Tag seit seiner Errettung zusammengerissen hatte, dies verdiente eigentlich Bewunderung.
»Oh, dieses verdammte Verlies der Stürme«, murmelte der Torwächter. »Irgendwann wird es uns noch den Untergang bringen.«
»Das wollen wir doch nicht hoffen«, entgegnete Finta und verabschiedete sich, weil er ohne weitere Verzögerung zu seiner Frau wolle.
»Aber natürlich.« Der Torwächter und seine Kameraden verbeugten sich höflich, keiner von ihnen beachtete Ben oder Nesto länger als einen Augenblick. Ben war trotzdem überzeugt, dass sie sich in dem kurzen Augenblick sein Aussehen genau eingeprägt hatten, um ihn fortan dem angesehenen Händler zuordnen und entsprechend behandeln
zu können. Dennoch schlug Bens Herz unter ihrem Blick schneller, weil er fürchtete, sie würden ihn erkennen und gefangen nehmen. Obwohl sie ihn passieren ließen, verschwand die Anspannung nicht vollständig. Nach Monaten in der Ferne hatte er wieder eine Stadt betreten, in der er gesucht wurde. Und das ohne die Begleitung seiner Freunde.
Hinter der Stadtmauer mischte sich der Gestank von totem Fisch, Kot und Abwasser in die Seeluft. Rhaconias Häuser waren vielfach aus hellem Stein errichtet, so weit Ben das im Schein der wenigen Laternen beurteilen konnte. Sie wirkten höher als in Trollfurt oder Falcenzca, während die meisten Straßen und Gassen schmaler waren. Viele wanden sich geschwungen durch die Nacht, kreuzten sich immer wieder, manchmal trafen nur drei, manchmal fünf oder sogar mehr aufeinander, sodass Ben schon bald die Orientierung verloren hatte.
Trotz der späten Stunde waren die Straßen erstaunlich belebt. Sie überholten zwei betrunkene Seeleute, die sich gegenseitig stützten und dennoch nicht geradeaus laufen konnten. Andere sangen grobe Lieder oder unverständliche in fremden Sprachen. Wie in Chybhia, der Stadt der heiligen Spiele, begegneten Ben die unterschiedlichsten Leute in den unterschiedlichsten Gewändern, nur schien hier alles weniger edel zu sein. Neben dem Gesang und dröhnendem Lachen hallten auch wüste Beschimpfungen und wilde Drohungen durch die Nacht.
Von Ferne erhaschte Ben einen Blick auf eine Messerstecherei zweier aufgebrachter Betrunkener, die jedoch schnell von ihren Kameraden beendet wurde, indem einer schrie: »Ich schmeiß ’ne
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