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Das verlorene Gesicht

Das verlorene Gesicht

Titel: Das verlorene Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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»Dass ich mir eine Reise nach Timbuktu erspart habe?«
»Nein, das steht immer noch auf dem Plan, wenn ich es irgendwo einbauen kann.« Er drückte ihre Hand, dann ließ er sie langsam los. »Ich glaube, ich beneide Quinn.«
»Um was?«
»Um vieles.« Er presste grimmig die Lippen zusammen.
»Aber für einen Mann ist es wesentlich erstrebenswerter, selbst zu beschützen, als beschützt und getröstet zu werden. Mich so an Ihrer Schulter auszuweinen beweist einen gewissen Mangel an Stärke.«
»Sie haben sich nicht an meiner Schulter ausgeweint.«
Und niemand konnte behaupten, dass es Logan an Stärke mangelte. »Sie haben mich angeschrien und meine Kleider durch die Gegend geworfen.«
»Das kommt auf dasselbe heraus. Tut mir Leid, ich habe die Beherrschung verloren. Es wird nicht wieder vorkommen.«
Sie hoffte, es würde nicht wieder vorkommen. Ihre Reaktion auf seinen Schmerz hatte sie verblüfft. Sie hatte beinahe mütterliche Gefühle entwickelt. Sie hatte ihn in die Arme genommen und hätte ihn am liebsten gewiegt, bis der Schmerz nachließ. Sie wollte ihn trösten, ihn halten und streicheln. Seine Verletzlichkeit hatte Schranken durchdrungen, die seine Stärke niemals überwunden hätte. »Kein Problem. Hängen Sie einfach meine Kleider wieder ordentlich auf und wir sind quitt.«
Sie schaute aus dem Fenster. Die Qualen waren vorbei. Blende ihn aus. Er kam ihr zu nahe.
Sie spürte seinen Blick, aber sie schaute ihn nicht an. Sie betrachtete die Sonne, die hinter den Bäumen unterging.
Er sagte nichts mehr, bis er in den Parkplatz vor dem Motel einbog. »Ich muss mit Kessler reden. Wann erwarten Sie ihn vom Labor zurück?«
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Viertel vor acht. »Er könnte schon in seinem Zimmer sein. Er hat mich für acht Uhr auf sein Zimmer bestellt und wir wollten uns etwas zu essen liefern lassen.« Sie verzog das Gesicht. »Bubba Blue’s Barbecue. Gary meinte, in dem Laden gibt es bestimmt eine Klapperschlange in einem Glaskasten, Sägemehl auf dem Boden und einen jodelnden CountrySänger – oh, Mist.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, Logan zu trösten, dass Gils Tod ihr erst in diesem Augenblick richtig bewusst wurde. Würde sie sich je wieder einen Country-Song anhören können, ohne an Gil Price zu denken?
»Ja.« Logans Augen glänzten feucht. »Ich habe ihm gesagt, dieser Ort wäre der richtige für ihn. Dass den ganzen Tag lang im Radio nur Countrymusic läuft, wie er sie –« Er öffnete abrupt die Wagentür und stieg aus. »Ich muss auf mein Zimmer gehen und duschen und mich umziehen.« Er langte auf den Rücksitz und nahm den Koffer mit dem Schädel. »Ich werde für eine Weile die Verantwortung für Ben übernehmen. Wir treffen uns in zwanzig Minuten in Kesslers Zimmer.«
Sie nickte dumpf und ging auf ihr Zimmer zu. Gil Price, Humor und Liebenswürdigkeit und Lebensfreude. All das war nicht mehr. Tod. Er lauerte überall und jetzt hatte er Gil erwischt. Wer würde der Nächste sein? Logan hätte zusammen mit Gil sterben können.
Die andere Seite der Münze.
Sie ging in ihr Zimmer und schüttelte den Kopf, als sie die auf dem Bett verstreuten Kleider betrachtete. Sie würde alles aufräumen und dann versuchen zu – Vergiss es.
Sie war verängstigt und besorgt und sich auf schreckliche Weise der Schatten bewusst, die immer näher kamen. Sie hatte seit dem vergangenen Abend nicht mehr mit ihrer Mutter gesprochen und sie brauchte Nähe. Sie nahm das Telefon aus ihrer Tasche.
Niemand meldete sich.
Was zum Teufel?
Sie wählte die Nummer noch einmal.
Keine Antwort.
Die andere Seite der Münze.
Ihre Position ist nicht so stark, wie Sie glauben.
Mom.
Ihre Hand zitterte, als sie Logans Zimmernummer wählte.
»Ich kann meine Mutter nicht erreichen. Sie geht nicht ans Telefon.«
»Geraten Sie nicht in Panik. Vielleicht –«
»Erzählen Sie mir nichts von Panik. Ich kann sie nicht erreichen.«
»Vielleicht hat es nichts zu bedeuten. Ich werde Pilton anrufen.«
»Wie ist es möglich –«
»Ich rufe Pilton an«, unterbrach er sie. »Ich melde mich wieder bei Ihnen.« Er legte auf.
Alles war in Ordnung.
Fiske hatte sie nicht gefunden.
Alles war in Ordnung.
Das Telefon läutete.
Hastig griff sie nach dem Hörer.
»Es geht ihr gut«, sagte Logan. »Ich habe mit ihr gesprochen. Sie und Margaret sind gerade beim Abendessen. Die Batterie ihres Telefons war leer.«
In Sicherheit. Die Erleichterung war so groß, dass ihr beinahe übel wurde.

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