Das verlorene Gesicht
steif vor Anspannung. Wie zum Teufel sollte sie zu ihm durchdringen? Schock? Sie konnte ihm von Lisa Chadbournes Anruf erzählen. Auf keinen Fall. Das würde ihn nur bestärken. Am besten, sie ließ ihm noch etwas Zeit.
Lisa starrte auf das Telefon.
Nimm ab. Ruf an. Du hast schon zu lange gewartet. Eve Duncan hatte sich auf nichts eingelassen. Also gut, akzeptiere es. Es musste weitergehen. Tu, was du tun musst. Lisa nahm den Hörer ah.
Eine Stunde war vergangen und die Sonnenstrahlen warfen lange Schatten, als Logan von der Landstraße auf einen Feldweg einbog. »Weiter fahre ich nicht. Bringen Sie’s hinter sich.«
»Werden Sie mir zuhören?«, fragte Eve.
»Ich höre.«
Und er war stur entschlossen, nicht zuzuhören. Oder
vielleicht auch nicht stur, dachte Eve erschöpft. Vielleicht hatte er Angst, ihr zuzuhören.
Eine seltsame Vorstellung, dass der selbstbewusste und entschlossene Logan Angst haben sollte. »Erinnern Sie sich noch an Ihre Worte? Man tut das Beste, was man kann, und macht dann mit seinem Leben weiter. Nichts als heiße Luft, Logan.«
»Ich handle also nicht nach dem, was ich predige.« »Sie sind nicht für Gils Tod verantwortlich. Er war ein erwachsener Mann und er traf seine eigenen Entscheidungen. Sie versuchten sogar, ihn davon abzuhalten.«
»Darüber haben wir schon diskutiert.«
»Und Sie sind nicht für mich verantwortlich. Diese
Verantwortung müsste ich Ihnen geben und das werde ich nicht tun. Ich bin die Einzige, die mein Leben bestimmt. Also sparen Sie sich diesen Blödsinn von wegen Sie setzen mich auf ein Schiff oder schicken mich in die Hintere Mongolei.«
»Timbuktu.«
»Wohin auch immer. Ich gehe nirgendwo hin. Ich habe zu viel durchgemacht. Ich habe zu viel in mein Leben investiert, um es einfach wegzuwerfen. Haben Sie das verstanden?«
Er sah sie nicht an. »Ich habe es verstanden.«
»Dann können wir ja wohl jetzt zurück ins Motel fahren.«
Er ließ den Motor an. »Aber das ändert nichts an meiner Entscheidung. Glauben Sie mir, ich werde eine Möglichkeit finden, Sie auf dieses Schiff zu setzen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde seekrank. Ich weiß noch, wie wir mit der Fähre von der Cumberland-Insel zurückgefahren sind, da war ich so krank wie ein Hund.«
»Es wundert mich, dass Sie es überhaupt bemerkt haben.«
»Ich konnte es auch nicht verstehen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Leben zu Ende war, und ich fand es nicht fair, dass mein Körper mich auch noch bestrafte.«
»Aber Quinn hat sich um Sie gekümmert.«
»Ja, Joe kümmert sich immer um mich.«
»Haben Sie von ihm gehört?«
»Gestern Abend. Er hat einen Brief aufgetrieben, der wahrscheinlich Speichelreste von Chadbourne aufweist, aber er weiß noch nicht, wie er eine Speichelprobe von Millicent Babcock bekommen soll. Er wollte ihr und ihrem Mann in einen Country Club folgen und versuchen, ein Trinkglas zu erwischen.«
»Ihr aufrechter Polizist hat vor, ein Glas zu stehlen?«
Das Reden schien ihm gut zu tun. Die Muskeln in Logans Unterarmen begannen sich zu entspannen.
»Das ist kein Diebstahl.« Sie beschloss, ihm nicht anzuvertrauen, dass Joe den Brief mit dubiosen Methoden in seinen Besitz gebracht hatte.
»Haben Sie Die Elenden gelesen?«
»Ja, und ich kann mir vorstellen, wie Joe Brot stiehlt, um ein hungerndes Kind satt zu machen.«
Er grinste schief. »Ihr Held.«
»Mein Freund«, korrigierte sie ihn.
Sein Lächeln verschwand. »Tut mir Leid, ich habe kein Recht, Quinn zu kritisieren. Was Freundschaft angeht, habe ich kläglich versagt.«
»Hören Sie auf, sich selbst zu geißeln. Ihr Verstand ist benebelt. Wann haben Sie zuletzt geschlafen?«
Er zuckte die Achseln.
»Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie erst mal eine Nacht lang geschlafen haben.«
»Werde ich das?«
Sie zögerte, dann sagte sie trocken: »Wahrscheinlich nicht. Aber Sie werden wieder klarer denken können.«
Er lächelte schwach. »Habe ich Ihnen schon mal gesagt, wie sehr ich Ihre brutale Ehrlichkeit schätze?«
»Es würde nichts nützen, Ihnen eine mit Zucker überzogene Pille zu verabreichen. Sie würden mich nur auslachen. Sie haben schon einmal schrecklichen Schmerz erlebt. Sie wissen, dass es dafür keine schnelle Heilung gibt. Man muss einfach damit leben.«
»Ja, das ist die einzige Möglichkeit, damit umzugehen.«
Er überlegte. »Aber ich würde Sie nicht auslachen, Eve. Niemals.« Er nahm eine Hand vom Steuer und legte sie auf ihre. »Ich … danke Ihnen.«
»Wofür?« Sie bemühte sich zu lächeln.
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