Das verlorene Gesicht
der Welt hatte. Warum sollte –« Ihr Blick war auf den Fußboden neben dem Schreibtisch gerichtet. »O Eve, es tut mir so Leid, deine ganze Arbeit …«
Ihr Computer war zerstört und daneben lag Mandys Schädel, grausam und zielstrebig zertrümmert.
Eve ließ sich neben den Teilen des Schädels auf die Knie fallen. Es müsste schon ein Wunder geschehen, damit sie ihn wieder zusammensetzen konnte.
Mandy … verloren. Vielleicht für immer.
»Ist denn was weg?«, wollte ihre Mutter wissen.
»Sieht nicht so aus.« Sie schloss die Augen. Mandy … »Sie haben einfach alles zerstört.«
»Rowdys? Aber es sind doch alles nette Jugendliche in unserem Viertel. Sie würden nie –«
»Nein.« Sie öffnete ihre Augen wieder. »Würdest du bitte Joe anrufen, Mom? Sag ihm, er soll sofort herkommen.« Sie schaute auf die Katze und Tränen traten ihr in die Augen. Sie war fast neunzehn Jahre alt und hätte einen sanfteren Tod verdient. »Und bring einen kleinen Karton und eine Plane mit. Während wir warten, bringen wir Tom-Tom zu Mrs Dobbins und helfen ihr, ihn zu beerdigen. Wir sagen ihr einfach, er wurde von einem Auto überfahren. Das ist schonender, als ihr klar zu machen, dass irgendwelche hirnlosen Barbaren dafür verantwortlich sind.«
»Richtig.« Sandra eilte hinaus.
Hirnlose Barbaren.
Die Zerstörung war zwar barbarisch, aber weder hirnlos noch zufällig. Sie war vielmehr gründlich und systematisch. Wer immer das gewesen war, er hatte beabsichtigt, sie zu schockieren und zu treffen.
Sanft streichelte sie ein Stück von Mandys Schädel. Das Mädchen war noch nach seinem Tod das Opfer von Gewalt geworden. Diese Gewalt war ebenso sinnlos wie die Brutalität, mit der dem Leben dieser armen kleinen Katze ein Ende bereitet worden war. Beides war unrecht. So unrecht.
Vorsichtig sammelte sie die Schädelsplitter ein, aber es gab keinen Platz, sie abzulegen. Der Sockel war ebenso zerstört wie alles andere. Sie legte die Splitter auf den blutverschmierten Schreibtisch.
Aber warum lag der Schädel auf dieser Seite des Raums?, fragte sie sich plötzlich. Das Scheusal hatte ihn absichtlich herübergetragen und erst dann zertrümmert. Warum?
Sie ließ den Gedanken fallen, als sie das Blut bemerkte, das aus der obersten Schreibtischschublade tropfte.
O Gott, noch mehr?
Sie wollte die Schublade nicht öffnen. Sie würde sie nicht öffnen.
Sie tat es doch.
Sie schrie auf und machte einen Satz zurück.
Eine Blutlache und mitten in der klebrigen Masse lag eine tote Ratte.
Sie schlug die Schublade zu.
»Ich habe den Karton und die Plane.« Ihre Mutter war wieder zurück. »Soll ich es machen?«
Eve schüttelte den Kopf. Ihre Mutter wirkte genauso angewidert, wie Eve sich fühlte.
»Ich mach’s schon. Kommt Joe?«
»Ist schon unterwegs.«
Eve nahm die Plane, gab sich einen Ruck und ging zur Katze hinüber. Alles in Ordnung, Tom-Tom. Wir bringen dich nach Hause.
Zwei Stunden später traf Joe sie auf der Türschwelle des Labors an. Er musterte sie und reichte ihr sein Taschentuch.
»Deine Wange ist verschmiert.«
»Wir haben soeben Tom-Tom begraben.« Sie wischte sich die Tränen von der Wange. »Mom ist noch drüben bei
Mrs Dobbins. Sie hat diese Katze geliebt. Sie war wie ihr Kind.«
»Wenn jemand das mit meinem Retriever machen würde, würde ich ihm den Schädel einschlagen.« Er schüttelte den Kopf. »Wir haben versucht, Fingerabdrücke zu finden, aber ohne Erfolg. Wahrscheinlich trug er Handschuhe. Im Blut fanden wir Ansätze von Fußspuren. Ziemlich große, wahrscheinlich von einem Mann, und nur eine Sorte. Ich würde also sagen, dass wir es mit einem Einzeltäter zu tun haben. Fehlt irgendetwas?«
»Nicht dass ich wüsste. Alles ist einfach … zerstört.« »Es gefällt mir nicht.« Joe warf einen Blick über die Schulter und betrachtete die Verwüstung. »Da hat sich jemand ziemlich viel Zeit gelassen, um so gründlich vorzugehen. Das war skrupellos und sieht nicht nach
Zufall aus.«
»Das habe ich auch nicht angenommen. Irgendjemand
wollte mich treffen.«
»Irgendwelche Jugendlichen aus dem Viertel?« »Keiner, dem ich das zutrauen würde. Das war zu brutal.« »Hast du schon die Versicherung angerufen?«
»Noch nicht.«
»Solltest du aber.«
Sie nickte. Noch am Tag zuvor hatte sie Logan erklärt,
sie sähe kein Problem darin, die Tür zum Labor
unverschlossen zu lassen. Sie hatte sich nicht vorstellen
können, dass so etwas passieren konnte. »Ich fühle mich
elend, Joe.«
»Kann ich verstehen.« Er nahm ihre Hand und
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