Das verlorene Gesicht
dir ist, wie heißt sie dann wirklich? «
» Namen bedeuten uns nichts mehr, Mama. «
» Aber mir bedeuten sie etwas. «
Bonnie lächelte. » Wahrscheinlich musst du ihr einen Namen geben, um sie lieben zu können. Das ist wirklich nicht notwendig. «
» Ganz schön tiefsinnig für eine Siebenjährige. «
» Um Himmels willen, das ist jetzt zehn Jahre her. Versuch nicht, mich hereinzulegen. Wer hat denn gesagt, dass ein Geist nicht erwachsen werden kann? Ich kann doch nicht immer sieben Jahre alt bleiben. «
» Du siehst aber noch genauso aus. «
» Weil du nur siehst, was du sehen willst. « Sie lehnte sich in die Fensternische. » Du arbeitest zu viel, Mama. Ich mache mir Sorgen um dich. Vielleicht täte dir dieser Auftrag von Logan ja gut. «
» Ich werde ihn nicht annehmen. «
Bonnie lächelte.
» Wirklich nicht « , bekräftigte Eve.
» Wie auch immer. « Bonnie starrte zum Fenster hinaus.
» Heute Abend hast du an mich und an die Geißblattblüten gedacht. Es gefällt mir, wenn du schöne Erinnerungen an mich hast. «
» Das hast du mir schon gesagt. «
» Dann wiederhole ich mich eben. Anfangs warst du zu sehr von Kummer erfüllt. Ich konnte dir gar nicht nah sein … «
» Du bist mir jetzt auch nicht nah. Ich träume dich nur. «
» Tatsächlich? « Bonnie betrachtete sie, ein liebevolles Lächeln erhellte ihr Gesicht. » Dann hast du ja bestimmt nichts dagegen, wenn dein Traum noch eine Weile dauert, oder? Manchmal habe ich solche Sehnsucht nach dir, Mama. «
Bonnie. Liebe. Hier.
O Gott, sie war hier.
Es spielte keine Rolle, dass es ein Traum war.
» Ja, bleib « , flüsterte sie heiser. » Bitte bleib noch, Kleines. «
Die Sonne schien herein, als Eve am Morgen darauf die Augen öffnete. Sie warf einen Blick auf die Uhr und schoss in die Höhe. Es war fast halb neun, normalerweise stand sie um sieben auf. Sie wunderte sich, dass ihre Mutter nicht nach ihr gesehen hatte.
Sie schwang sich aus dem Bett und ging den Flur entlang zur Dusche. Sie fühlte sich ausgeruht und optimistisch, wie immer, wenn sie von Bonnie geträumt hatte. Für einen Psychiater wären diese Träume ein gutes Übungsfeld, aber sie scherte sich nicht darum. Drei Jahre nach Bonnies Tod hatte sie angefangen, von ihr zu träumen. Die Träume kamen oft, aber sie hätte nicht sagen können, wann sie sie hatte und wodurch sie ausgelöst wurden. Vielleicht wenn sie ein Problem hatte und es durcharbeiten musste. Jedenfalls war die Wirkung immer positiv. Wenn sie aufwachte, fühlte sie sich gefasst und stark, genau wie heute, und voller Selbstvertrauen, dass sie sich der Welt stellen konnte.
Und auch John Logan.
Sie zog sich schnell Jeans und ein weites, weißes Hemd an, ihre Arbeitskluft, und lief die Stufen zur Küche
hinunter.
»Mom, ich hab verschlafen. Warum hast du mich nicht –« Es war niemand in der Küche. Kein Duft von Schinken,
keine Bratpfanne auf dem Herd … Der Raum sah genauso aus wie um Mitternacht, als sie hereingekommen war.
Und Sandra war noch nicht zu Hause gewesen, als Eve ins Bett gegangen war. Sie blickte aus dem Fenster und atmete erleichtert auf. Der Wagen ihrer Mutter stand auf seinem Parkplatz.
Sie war wahrscheinlich erst spät heimgekommen und hatte auch verschlafen. Da Samstag war, brauchte sie nicht zu arbeiten.
Sie durfte nichts davon erwähnen, dass sie sich Sorgen gemacht harte, dachte Eve schuldbewusst. Sie neigte dazu, sich zu viele Sorgen zu machen, und Sandra nahm ihr das zu Recht übel.
Sie nahm Orangensaft aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas ein, langte nach dem Mobiltelefon an der Wand und rief Joe auf seiner Dienststelle an.
»Diane hat sich beschwert, dass du dich nicht gemeldet hast. Du solltest sie anrufen, nicht mich.«
»Heute Nachmittag, ich versprech’s.« Sie nahm am Küchentisch Platz. »Erzähl mir von John Logan.«
Es herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Hat er sich mit dir in Verbindung gesetzt?«
»Gestern Abend.«
»Ein Auftrag?«
»Ja.«
»Welcher Art?«
»Ich weiß nicht. Er erzählt mir nicht viel.«
»Du scheinst es dir zu überlegen, sonst hättest du mich nicht angerufen. Welchen Köder hat er benutzt?«
»Die Adam-Stiftung.«
»Gott, der weiß genau, wo er dich packen kann.«
»Er ist intelligent. Und ich möchte wissen, wie intelligent.« Sie nippte an ihrem Saft. »Und wie ehrlich.«
»Tja, er spielt jedenfalls nicht in derselben Liga wie dein Drogenhändler aus Miami.«
»Das ist nicht besonders tröstlich. Hat er irgendwelche Verbrechen
Weitere Kostenlose Bücher