Das verlorene Gesicht
ja gern nachkommen, aber Quinn hat mir einen klaren Befehl erteilt. Mir liegt eine Menge an einem intakten Genick.« » Ich gebe hier die Befehle. Sie stören hier nur. Gehen Sie mir aus dem Weg und sorgen Sie dafür, dass meine Mutter in Sicherheit ist, sonst fahre ich nach Hause und kümmere mich selbst darum. Das würde ich sowieso am liebsten tun.« Er hob die Hand, um zu zeigen, dass er kapitulierte. »Bin schon unterwegs.« Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Sie atmete erleichtert auf. Sie wollte jetzt niemanden um sich haben. Sie war zu verunsichert und musste ihre Gedanken und Gefühle ordnen. Nur bei der Arbeit würde ihr das gelingen. Je eher sie in das Labor der Kennesaw State University gelangten, umso besser würde sie sich fühlen. Sie fand drei hölzerne Instrumente, die ihr scharf genug erschienen, um damit arbeiten zu können, aber nicht so scharf, dass sie Schaden anrichten würden, falls ihr die Hand ausrutschte. Sie steckte sie in ihre Handtasche und packte den Schädel vorsichtig in den Koffer zurück. »Okay, Ben. Tut mir Leid, dass ich dir das zumute, aber ich muss all das Zeug von dir entfernen. Auftragen, entfernen. Dieses ganze Gefummel ist irgendwie unfair, stimmt’s?« Sie verriegelte die Kofferschlösser. »Aber es muss nun mal sein.«
»Mrs Duncan? Öffnen Sie die Tür. Hier ist Margaret Wilson.«
Sandra betrachtete die dicke Frau durch den Türspion und verglich sie mit dem Foto in ihrer Hand. »Mrs Duncan?« »Ich habe Sie gehört.« Sandra entriegelte die Tür. »Kommen Sie rein.« Margaret schüttelte den Kopf. »Nein, mein Wagen steht an der Straße. Wir müssen los. Sind Sie fertig?« »Ich muss nur eben meinen Koffer holen.« Sie ging ins Wohnzimmer und kehrte mit dem Koffer zurück. »Wo fahren wir hin?« »Wir können hier nicht reden.« Margaret stieg die Verandastufen hinunter. »Keine Sorge, ich bringe Sie in Sicherheit.« »Warum können wir hier nicht reden? Ich bin doch nicht–« Sandra begriff. »Wanzen? Glauben Sie, in meinem Haus sind Wanzen versteckt?« »So wurde mir gesagt. Beeilen Sie sich.« »Wanzen.« Sandra verschloss die Haustür. »Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?« »Ich hatte gehofft, Sie wüssten es.« Margaret eilte über den Gehweg. »Ich dachte, wir könnten unsere Aufzeichnungen vergleichen und ein paar Antworten finden. Gewöhnlich macht es mir nichts aus, für John irgendetwas blind zu erledigen, aber bei dieser Sache fühle ich mich nicht besonders wohl.« Sie öffnete die Beifahrertür. »Steigen Sie ein.« Sie deutete auf einen kleinen, kräftigen Mann, der hinter dem Steuer saß. »Das ist Brad Pilton. Er ist einer der Sicherheitsleute, die Ihr Haus während der vergangenen Tage bewacht haben. Er soll unser Leibwächter sein.« »Ich bin Ihr Leibwächter«, sagte Pilton entnervt. Er nickte Sandra höflich zu. »Ma’am.« »Also, Sie sind nicht gerade ein Hüne.« Margaret nahm auf dem Rücksitz Platz. »Nicht dass das normalerweise ein Nachteil wäre. Ich steh auf kleine Leute. Trotzdem hätte ich mich wohl für jemand anders entschieden, wenn ich Sie vorher gesehen hätte. Die Großen und Muskulösen sind manchmal tatsächlich zu gebrauchen. Nicht dass Sie keine hervorragenden Referenzen hätten.« »Danke.« Er ließ den Motor an und fuhr los. »Wo fahren wir hin?«, wiederholte Sandra. »Oder können wir nicht reden?« »Im Wagen ist es kein Problem. Er gehört dem Sicherheitsdienst, aber ich habe trotzdem darauf bestanden, dass Pilton ihn nach Wanzen absucht. Wir fahren zur Mall.« »Zur Mall?« »Zur North Lake Mall.« Margaret lächelte Sandra an. »Wir müssen den Wagen wechseln für den Fall, dass wir verfolgt werden. Wir werden zu einer Tür rein- und zu einer anderen wieder rausfahren.« »Und dann?« »Zum Lanier-See. Ich habe eine kleine Hütte gemietet. Sie werden sicher und gemütlich untergebracht.« Lanier-See. Ron und sie hatten überlegt, das Labor-DayWochenende dort zu verbringen, dachte Sandra wehmütig. Aber er hatte vorgeschlagen, in einem Hotel auf der PineInsel zu übernachten. Er war nicht so naturverbunden. Na ja, sie selbst eigentlich auch nicht. Trotz all ihrer Gegensätze hatten sie eine Menge Gemeinsamkeiten. »Stimmt irgendwas nicht?«, wollte Margaret wissen. »Nein, nein, alles in Ordnung. Mir kommt das nur alles wie ein böser Traum vor.« »Mir auch.« Margaret beugte sich vor und legte Sandra eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge. Wir stehen das gemeinsam durch.« »Ich glaube, wir
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