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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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hatte die Riesenflügel ihres
Tores weit in den Angeln zurückgeschlagen, und ihr tiefer, fensterloser
Raum stand in scharf abgegrenzter, schwarzer Finsternis in der
durchsichtigen Nacht Die Sterne schwebten groß, nah und gewaltig
leuchtend auch über ihrem Dach, doch nichts von ihrem Widerschein
konnte in das Innere dringen.
    Christian, als er die Pferde ausspannte, stand eine Weile
gebannt durch diesen Anblick, er erschrak, als plötzlich die Frau ihm
entgegentrat, die auf der Bank vor dem Haus ihn erwartet hatte. Doch er
reichte ihr schnell die Hand und zog sie neben sich auf die Bank zu
einer Rast noch nieder. Sie schwiegen. Die Natur war voll tiefster
Stille, nur der Glanz der Sterne war so groß, daß er zu tönen schien.
    Endlich sagte Christian, den Blick fest gerichtet auf die
geöffneten Tore der finsteren Scheune: »Ist Güse für morgen bestellt?«
Das war der Dachdecker, der das Strohdach der Scheune vier ausbessern
sollte, ehe sie mit dem diesjährigen Korn eingescheuert werden sollte.
Christian fühlte das Tönen der Sterne verstummen, die finstere Scheune
rückte ferner seinem Blick, und er hörte die Stimme der Frau, die ihm
antwortete: »Ja, er kommt morgen mittag.« Er sprach weiter:
    »Fritz kann früh gleich zum Teich gehen, die Weiden schneiden
und einweichen.«
    »Ja«, sagte die Frau.
    »In Wiesenschlag sieben mähen wir. Nachmittags holt Plachmann
das Schlachtvieh, es muß pünktlich gemolken werden.«
    »Ja«, sagte die Frau.
    »Ich bin mit den Jungen oben im Wald, wir wollen fällen.«
    »Ja.«
    »Es wird schon gehen«, sagte der Mann.
    Die Frau griff nach seiner starken, zuversichtlichen Hand, und
sie schwiegen noch eine Weile. Dann erhob sich der Mann, und die Frau
folgte ihm ins Haus. Sie gingen die Treppe empor und traten in das
Schlafzimmer ein. Im Dunkeln vernahmen sie den zarten, reinen,
hauchenden Atem des Kindes. Im Dunkeln kleideten sie sich leise aus.
Die Frau stand am Bettchen des Kindes, hell schimmerten ihre Schultern
und die weichgeformten Arme im Widerschein der sternendurchglänzten
Nacht. Sie zögerte noch, aber plötzlich wandte sie sich um, war nahe
dem Mann, ihr leises, strömendes Lachen tönte, sie umschlang ihn mit
den Armen, tauchte die schwarzglänzende Nacht ihrer Augen in seinen
Blick und zog ihn zu sich.
    Das Kind erwachte und rief. Die Frau riß sich los, wich fort
von dem Mann in der Dunkelheit. Als der Mann Licht angezündet hatte,
stand sie, ohne sich zu rühren, am Fußende des Kinderbettes, den Kopf
tief gesenkt, das Gesicht von ihrem schwarzen Haar verborgen.
    Das Kind aber stand aufrecht im Bettchen, heiß vom Schlaf, in
erregter, unnatürlicher Munterkeit lachte und sprach es, bettelte und
wollte sein Geburtstagsgeschenk, sein neues, buntes Kleidchen sehen.
    »Du mußt jetzt schlafen«, sagte der Vater sanft, und versuchte
das Kind niederzulegen. Es begann zu weinen, und die Mutter neigte sich
demütig und stumm und reichte ihm das Kleidchen hin. Das Kind nahm es
in die Arme, streichelte es, dann verlangte es noch die neuen Schuhe zu
sehen. Die Mutter reichte auch diese ihm hin. Das Kind strich zärtlich
mit den kleinen Fingerchen über die noch unberührten weißen Stellen der
Sohlen und über ihre scharfen, noch glänzenden Kanten hin. Es begann zu
plaudern und zu lachen. Der Vater hob es auf und bettete es zwischen
sich und die Frau. Schelmisch begann es ihm zu schmeicheln, haschte
nach seiner Hand, die es festhielt und in die es sein kleines
Gesichtchen schmiegte. Dann entdeckte es den breiten, goldenen Ring an
seinem Finger, versuchte ihn abzuziehen, und der Vater, selbst
glücklich in diesem Spiel, kämpfte mit dem Kind, ballte die Hand
zusammen und nahm sein kleines Händchen darin gefangen. Jedesmal, wenn
er das tat, lachte das Kind in langen, weichtönenden Zügen, rollte die
kleine Kehle, und seine wie ein Blumenblatt zarten Lippen feuchteten
sich. Still, mit gesenkten Blicken sah die Mutter, an des Kindes
anderer Seite liegend, dem Spiel zu. Endlich ermüdete das Kind und
schlief wieder ein. Der Vater verlöschte das Licht. Doch nur im ersten
Augenblick umgab ihn Finsternis. Die helle, von Sternenschein
durchlichtete Nacht schwebte bald vor seinen Blicken auf, er erkannte,
ihm zur Seite liegend, das weißschimmernde Gesicht der Frau, die
lichten Lider über die Nacht ihrer Augen gesenkt, er sah, an sein Herz
geschmiegt, das am Tage goldfarbene Haar des Kindes jetzt silbern
aufleuchten,

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