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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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und ließ es
unterzeichnen. Er versprach, bald Nachricht über den Verbleib des
Kindes zu geben. Es würde alles getan werden, um in diese Angelegenheit
Licht zu bringen. Außerdem sei die Behörde ja auch außerordentlich
unterstützt durch die reiche Belohnung, die der opferwillige Vater für
das Wiederauffinden des Kindes ausgesetzt habe. Diese errege überall
die größte Bewunderung. Fürs erste wolle man die Spur des Bettlers, der
an dem Tage verschiedentlich in der Nähe des Gehöftes gesehen wurde,
verfolgen und sich auch mit der Schwester des Herrn, der
Baronin G., in Verbindung setzen, wegen näherer Auskunft über
die Zigeuner, die auf ihrem Besitz festgehalten worden waren. Schon zum
Gehen bereit, wandte sich der wortführende Kommissar noch einmal zurück
und sagte zögernd, schonungsvoll, in gesenktem Tone: »Haben Sie auch
bedacht, daß die Möglichkeit eines Unzuchtverbrechens oder Mordes neben
der eines Raubes vorliegt?«
    Der Vater antwortete ruhig: »Ich habe das bedacht. Aber man
muß alles tun!«
    »Selbstverständlich,« erwiderte der Beamte, »denn auch ein
solches Verbrechen bedarf ja der Aufklärung!«
    Die Beamten verließen das Zimmer, drückten sich schmal an der
Frau vorbei, die an der Tür lehnte. Mann und Frau blieben allein. Das
Zimmer war still, voll von sanfter Dämmerung der großen Bäume vor
seinen Fenstern. Der Mann ließ sich schwer auf den Stuhl vor dem
Schreibpult nieder. Sein Kopf sank auf die Brust
    Die Frau rief leise von der Tür her: »Christian!«
    Es kam keine Antwort, kein Blick, kein Zeichen.
    Der Mann hob den Kopf, doch vermochte er nicht zu sprechen,
noch die schweren Lider von den Augen zu heben.
    Die Frau ging zu ihm hin, nahm seinen weißen Kopf und preßte
ihn gegen ihre Brust: »Christian, es wird noch alles gut werden. Ich
bin doch deine Frau«, sagte sie.
    Er schob sie sanft von sich. »Was wir gelebt haben, das ist
alles vorbei, das dürfen wir nicht mehr wollen«, sagte er; seine Stimme
war ohne Klang.
    »Aber Anna kann noch wiederkommen, es ist doch mein Kind auch. Was soll
denn mit ihr geschehen sein, es muß noch alles gut werden, was soll
denn sonst kommen?«
    »Wir müssen versuchen, das Unglück zu begreifen«, sagte der
Mann.
    »Ich kann das nicht, Christian,« sagte Martha, »Christian!«
rief sie noch einmal leise ihn an. Er stand auf und ging an ihr vorüber
aus dem Zimmer, ohne auch nur einmal sie angeblickt zu haben. Sie sah
ihm nach. Ihre aus dem Boden des Glückes entwurzelte Seele konnte
nichts mehr fassen. Ihr Gesicht verwandelte sich. In einem starren, wie
blinden Blick waren ihre Augen so weit aufgerissen, daß die Lider
schmerzten, über den hochgeschobenen Augenbrauen hatte die Stirn wie
durch Zauberschlag sich in tiefe, harte, von Schläfe zu Schläfe
laufende Furchen gefaltet, die sie nie mehr verließen. Der Mund, der
bisher durch sein Lächeln das Fleisch der Wangen heiter kräuselte, war
breit und scharf über den fest ineinandergebissenen Zähnen geöffnet und
riß zwei Furchen bis zum Kinn.
    Das Mittag wurde ausgerufen. Sie wandte sich und ging zur
Küche. Das Gesinde kam herbei, drückte sich still an seine Plätze und
ließ die Blicke scheu und schnell über das verhangene Gesicht des
Herrn, über die gefurchten Züge der Frau gleiten, in deren blinde Augen
sie hineinsehen konnten wie in totes Glas; dann sahen sie auf ihre
Teller nieder. Die Kinder kamen auch, Karl und Gustav, und Fritz
zwischen beiden. Sie sahen sich nur untereinander an, sie vermieden den
Anblick der Eltern, der Angst und Schrecken verbreitete. Emma brachte
die Speisen, und der Herr verteilte sie. Das Gebet kam, das die letzten
Tage nicht gesprochen worden war. Emma versuchte zu reden, doch
aufsteigende Tränen schnürten ihr die Kehle zu. »Fritz,« rief sie
leise, »bete du.« Fritz erhob sich von seinem Platz, neigte den Kopf
und sagte mit seiner sanften schönen Stimme das Gebet. Alle senkten
hastig die Löffel in die Teller, das Mahl war gut und reichlich, wie
immer. Doch Mann und Frau aßen nicht, und eine schwere Beklemmung lag
über der Runde. Hastig und verstohlen stillten die andern nur
notdürftig ihren Hunger und standen bedrückt, halb nur gesättigt, vom
Essen auf. Nur die drei Knaben hatten erst eine Weile verlegen und
zögernd mit den Löffeln gespielt, doch dann sich unbekümmert ihrem
jugendlichen Hunger überlassen. Schnell strömte nach dem Essen alles
auseinander. Alles strebte so

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