Das verlorene Kind
Bienenvolk,
das verschwärmt war, eingeholt und neu verpflanzt werden. Doch sie litt
nicht, daß jemand an das Schlafzimmer anklopfte, sondern auf Treu und
Glauben, nach der guten Absicht ihres guten Herzens erledigte sie
alles. Große Hilfe hatte sie an Fritz, den sie hin und her schicken
konnte, der arbeiten, aufpassen und spionieren mußte, der unermüdlich
lief und gehorchte, und dem sie zur Belohnung, und sich selbst zum
Trost, oft über seine weichen, hellen Locken strich. Sie war stolz, als
es um zehn Uhr schon wieder ganz still auf dem Hof geworden war und
Mann und Frau noch nicht gekommen waren. Schnell bereitete sie in der
Küche die Mahlzeit vor, als sie, aufsehend, plötzlich den Herrn mitten
auf dem Hof erblickte. Das erbleichte Haupt in der hellen, heißen
Sonne, so ging er mit verdrückter Kleidung langsam mit schweren
Schritten auf den Brunnen zu, pumpte den Trog voll Wasser, tauchte
seine Hände ein und ließ sie lange darin ruhen. Dann neigte er sich und
tauchte auch das Gesicht in das Wasser, zog sein Tuch aus der Tasche
und trocknete sich ab, während er über den Hof ging, den Feldern zu.
Emma erschrak tief. Nie wusch sich der Herr am Brunnen, sogar den
Kindern war dies verboten, und sie taten es nur heimlich, weil sie sich
gern mit den anderen Burschen neckten und bespritzten. Besorgt eilte
sie die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. Leise öffnete sie die Tür. Die
Frau lag noch im Bett, in den Kleidern, das Gesicht nach unten gepreßt,
auf dem Leib, und stöhnte schwer. Emma rührte sie an, sie erwachte
nicht, Emma packte sie vorsichtig bei den Schultern und wendete sie um.
Die Frau hielt noch immer die Augen geschlossen, ihr Gesicht war
geschwollen und gerötet, die Falten des Kissens hatten in das Fleisch
der Wangen tiefe weiße Gräben gedrückt Der Mund war geöffnet, und mit
den tiefen schweren Atemzügen stieß sie Stöhnen hervor, während ihre
linke Hand in steter Bewegung ihre linke Brust umkreiste. Emma riß ihr
das Kleid auf, holte ein Handtuch, tauchte es in Wasser, hielt sanft
die kreisende Hand Marthas fest und preßte ihr das Tuch gegen die
nackte Brust. Mit einem leisen Aufschrei erwachte die Frau. Die
Augenlider entblößten ihren Blick, der weitgeöffnet noch funkelte von
dem Traum, der sie bis jetzt umfangen gehalten hatte. Dieser Traum war
voll von Hoffnung gewesen und voll von bräutlichem Verlangen.
Die Frau blickte an sich nieder, sah ihre bloße Brust aus dem
Kleid aufschimmern, sie blickte zur Seite, der Mann war nicht da, sie
blickte auf das Bett zu ihren Füßen, das Kind war fort. Sie war keine
Frau mehr, sie sollte keine Mutter mehr sein. Schweiß rann an ihr
nieder, Brust und Rücken entlang, von der Stirn herab gegen Schläfe und
Augen. Sie glaubte, daß sie weine, und fühlte sich mit einer langsamen
Bewegung der Hand in die weitgeöffneten, trockenen Augen. Sie sah Emma
an, die mit traurigem Blick ihr begegnete. Sie schleuderte das nasse
Tuch von sich, stand auf und schloß ihr Kleid. Sie sprach nichts, und
auch Emma wagte nichts zu sagen, sondern ging still hinaus, langsam
wieder zur Küche hinab. 'Sie waren nicht zusammen diese Nacht,' dachte
sie traurig, 'warum tragen sie es nicht miteinander? Im Glück waren sie
so gut zusammen.'
Christian war an den Feldern entlanggegangen, die knisternd in
der Glut des Mittags reiften. Seinem gesenkten Blick boten sich die
üppig gefüllten Ähren dar in der glatten Fläche der ebenmäßig stehenden
Halme. Es war eine gute Ernte, bald konnte mit dem Schnitt begonnen und
frühzeitig die Wintersaat angesetzt werden. In der Wasserfurche in
Schlag fünf traf er Blank, den Wirtschafter. Als dieser den Herrn
endlich wieder hier zwischen den Feldern gehen sah, war er so voll
Freude, daß er zum Gruß seinen breiten Strohhut vom Kopfe riß.
»Ach, Herr!« sagte er, und seine grauen ernsten Augen hoben
sich scheu zum Gesicht des Herrn auf, »ein gutes Korn und ein früher
Schnitt, nicht wahr?«
»Ja,« sagte Christian, »übernächste Woche könnt ihr wohl
anfangen!«
»Wann, Herr, Mitte oder Ende? Es ist wegen der Tagelöhner.«
»Mitte oder Ende«, wiederholte der Herr und ging weiter.
Traurig enttäuscht sah ihm Blank nach. »Man kann nichts mit
ihm sprechen,« dachte er, »ein guter Herr, aber alles wird ihm
verlorengehen.«
Zum Mittagessen war der Herr nicht da, doch die Frau kam und setzte
sich an ihren Platz, verteilte das Essen und aß auch selbst. Die Söhne
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