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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ausgetreten waren.
    Der Altersunterschied zwischen innerem und äußerem Festungsring war hier am deutlichsten. Die, wie Alice gelesen hatte, gegen Ende des 13. Jahrhunderts erbauten und im 19. Jahrhundert restaurierten äußeren Anlagen waren grau und bestanden aus relativ gleichmäßig großen Steinen. Kritiker sahen darin einen weiteren Beleg dafür, wie stümperhaft die Restaurierung durchgeführt worden war. Alice störte das nicht. Was sie anrührte, war die Atmosphäre. Die innere Festungsmauer, einschließlich der Westmauer des Château Comtal, bestand zum einen aus den roten Backsteinen der galloromanischen Überreste, zum anderen aus dem bröckeligen Sandstein des 12. Jahrhunderts.
    Nach dem Trubel in der Cité verspürte Alice hier, im Angesicht solcher Berge und des weiten Himmels, ein Gefühl von Frieden. Sie hatte die Arme auf die Zinnen gestützt und blickte auf den Fluss hinunter, stellte sich das kühle Wasser zwischen ihren Zehen vor.
    Erst als das letzte Tageslicht von der Dunkelheit verschluckt wurde, wandte Alice sich um und kehrte in die Cité zurück.

Kapitel 34
Carcassona
     
    JULHET 1209
     
    S ie ritten einzeln hintereinander, als sie sich Carcassonne näherten, Raymond-Roger Trencavel an der Spitze, dicht gefolgt von Bertrand Pelletier. Chevalier Guilhem du Mas bildete die Nachhut.
    Alaïs war ziemlich weit hinten bei den Geistlichen.
    Seit sie von hier aufgebrochen war, war kaum eine Woche vergangen, doch es kam ihr sehr viel länger vor. Die Stimmung war gedrückt. Die Trencavel-Banner flatterten zwar unversehrt im Wind, und es kehrten auch genauso viele Männer zurück, wie aufgebrochen waren, doch die Miene des Vicomte kündete vom Scheitern ihrer Mission.
    Die Pferde wurden langsamer und fielen in Schritt, als sie sich dem Tor näherten. Alaïs beugte sich vor und tätschelte Tatous Hals. Die Stute war müde und hatte ein Hufeisen verloren, doch sie hatte tadellos durchgehalten.
    Die Menschen strömten zusa mmen, als sie unter dem Trenca vel-Wappen hindurchritten, das zwischen den beiden Türmen der Porte Narbonnaise hing. Kinder rannten neben den Pferden her, warfen Blumen vor ihnen auf den Weg und jubelten. Frauen winkten mit behelfsmäßigen Fähnchen und Kopftüchern aus den oberen Fenstern, während Trencavel seine Leute durch die Straßen zum Château Comtal führte.
    Alaïs empfand nur noch Erleichterung, als sie die enge Brücke überquerten und durchs Osttor ritten. Der Cour d'Honneur erwachte schlagartig zum Leben, alle winkten und jubelten ihnen zu. Ecuyers sprangen herbei, um die Pferde ihrer Herren wegzuführen, Diener rannten los, um das Badehaus vorzubereiten, Küchenjungen eilten mit Eimern Wasser Richtung Küche, wo ein Festmahl zubereitet werden würde.
    In dem Gewimmel von winkenden Armen und lächelnden Gesichtern entdeckte Alaïs auch Oriane. François, der Diener ihres Vaters, stand dicht hinter ihr. Sie musste kurz daran denken, wie sie ihn überlistet hatte und ihm sozusagen vor der Nase entwischt war.
    Sie sah, dass Oriane den Blick über die Ankömmlinge schweifen ließ. Er verweilte kurz auf ihrem Gemahl, Jehan Congost, und Verachtung huschte über ihr Gesicht, ehe sie weitersuchte und den Blick auf ihre Schwester richtete, der dadurch ganz unbehaglich zu Mute wurde. Alaïs tat so, als merkte sie es nicht, aber sie konnte den forschenden Blick ihrer Schwester über das Menschenmeer hinweg spüren. Als sie wieder hinschaute, war Oriane verschwunden.
    Alaïs stieg vorsichtig ab, um ihre verletzte Schulter zu schonen, und übergab Tatous Zügel an Amiel, der die Stute zum Stall führte. Ihre Erleichterung, endlich wieder zu Hause zu sein, war schon wieder vorüber. Melancholie senkte sich auf sie wie Winternebel. Alle anderen schienen von irgendwem umarmt zu werden, von einer Ehefrau, einer Mutter, einer Tante, einer Schwester. Sie schaute sich nach Guilhem um, doch er war nirgends zu sehen. Schon im Badehaus. Selbst ihr Vater war verschwunden.
    Alaïs schlenderte in den kleineren Hof, um allein zu sein. Eine Verszeile von Raimon de Miravalh ging ihr nicht aus dem Kopf, obwohl ihre Stimmung sich dadurch nur noch verschlechterte. »Res con.tr'Amor non es guirens, lai on sos poders s'atura.« Gegen die Liebe gibt es keinen Schutz, wenn sie beschlossen hat, ihre Macht auszuüben.
    Als Alaïs das Gedicht zum ersten Mal gehört hatte, waren ihr die Gefühle, die darin zum Ausdruck kamen, noch fremd gewesen. Trotzdem hatte sie im Cour d'Honneur gesessen, die mageren

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